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Ausgebremst

Bad Kleinkirchheim liegt in Kärnten und ist ein typischer Tourismusort der Alpen: Einst war es eine bäuerliche Streusiedlung, gelegen inmitten der sanften Nockberge, um 1920 begann man die vorhandenen Thermalquellen für Badegäste auszubauen, ab den 1960er Jahren kam der Wintersport dazu. Zwischen 1970 und 2000 wurde die Gegend zunehmend auch von Italien aus entdeckt, es begann eine Boomzeit. Heute stapeln sich im Ort die Thermen, Wellnesshotels und Ferienwohnungen, die umliegenden Berge sind voller Schneisen für Lifte und Skipisten, man stagniert auf hohem Niveau. Wie aber geht es weiter? Mit diversen esoterischen Themenwegen erschließt man bereits seit längerem das zusätzliche Segment des Wanderns. Auch einige halbherzige Kunstwege, entlang an diversen Skulpturen, hat man bereits angelegt. Doch so richtig gezündet hat das nicht. Nun versucht man es mit „nock/art – Ein wanderbares Kunstprojekt in Bad Kleinkirchheim“ nochmals. Dass das Experiment gelingen könnte, liegt vor allem an Edelbert Köb. Der ehemalige Direktor des Kunsthaus Bregenz und des Wiener mumok, Präsident der Wiener Secession und Vize der Akademie hat sich für das Projekt als Kurator engagieren lassen – und Köb mag und macht nicht gerne halbe Sachen. Als Auftakt mehrerer kritischer Kunstinstallationen, die sich ab Frühjahr 2014 mit dem Ort beschäftigen werden, hat Köb der Gemeinde daher erst einmal eine Art Meditation über das Wachstumsdenken mittels eines „Public Art Walk“ von Hamish Fulton verordnet. Für den 21. September 2013 war ein öffentlicher „SLOWALK“ angekündigt: Statt wie üblich schnell auf einen Gipfel zu stürmen und Höhenmeter zu sammeln, sollten in einer Stunde lediglich 300 Meter zurückgelegt werden. Ich war bei dieser wunderlichen Erfahrung dabei, hier mein Protokoll: 10:00 Uhr: Circa 160 Personen haben sich auf dem Parkplatz der örtlichen Römertherme versammelt, Hamish Fulton steht in der Mitte und erklärt die Regeln: Die TeilnehmerInnen werden in zwei Gruppen aufgeteilt, jede bekommt einen Anführer als Taktgeber. Unweit der Hauptstraße wird der WALK beginnen. Die Gruppen sollen sich in Einerreihe aufstellen, mit einem Meter Abstand zum Nächsten. Dann zeigt Fulton noch allen die ungefähre Laufgeschwindigkeit: Es wirkt fast wie Michael Jacksons Moonwalk. 10:20 Uhr: Meine Gruppe hat ihren Startpunkt erreicht. Ordner kümmern sich um den rechten Abstand in der Reihe. Letzte Anweisung: bitte schweigend gehen, die Mobiltelefone bitte ausschalten! 10:30 Uhr: Davon dass der WALK begonnen haben soll, ist hinten in der Reihe nichts zu merken. Aber da vorne zahlreiche Fotografen wild herumrennen, wird schon was sein. Wegen der brennenden Sonne knüpfe ich mir mein Jackett um die Hüften. Die anderen hingegen tragen professionelle Wanderbekleidung. 10:35 Uhr: Nun ist die Bewegung auch bei uns angelangt. Die meisten haben den Blick gesenkt und konzentrieren sich auf ihr schwankendes Gehen. Meine Vorderfrau ist barfuß unterwegs. Das langsame Abrollen ihrer Füße ist gut zu beobachten. 10:40 Uhr: Die Reihe zuckelt dahin wie eine zähe Lavamasse. Manchmal stockt es, manchmal muss man sich geradezu beeilen. Dennoch wird man von Ameisen und Spinnen überholt. 10:45 Uhr: Die Gegenkolonne ist weiter vorne schon in Sicht. Sie scheint aber ein Führungsproblem zu haben: Nach der dritten Person klafft eine Lücke – der nächsten Person ist wohl das angeschlagene Tempo zu hoch. Hinter ihr staut es sich wiederum. 10:50 Uhr: Die Spitzen der Reihen kommen sich näher und schieben sich dann aneinander vorbei. Ganz kontinental herrscht Rechtsverkehr. 10:55 Uhr: Das mit dem Gegenverkehr gefällt mir nicht, das verdoppelt glatt die relative Geschwindigkeit. 11:00 Uhr: Dass alle schweigen, ist großartig: Man hört den Wind, das Knirschen unter den Fußsohlen, den Traktor, der eine Wiese mäht, und den Verkehr der Hauptstraße. 11.05 Uhr: Die Fotografen haben sich beruhigt und die Schaulustigen unten an der Hauptstraße sind gegangen. Wie angenehm! Erstaunlicherweise ist mir weder langweilig, noch bin ich müde. Unsere Gruppe hat zudem Rückenwind. 11:10 Uhr: Keiner schaut auf die umliegenden Berge, keiner auf die vorbeiziehende Reihe. Der graue Kiesweg und das satte Grün des Wiesenrands haben viele in Bann geschlagen. Manche gehen sogar mit geschlossenen Augen. 11:15 Uhr: Der Gegenzug ist vorbei. Wir sind wieder auf beiden Seiten frei! 11:20 Uhr: Langsam komme ich in Übung, auch das Stocken der Reihe hat nachgelassen. 11:25 Uhr: Ich drehe mich um und mache ein Foto von der anderen Reihe, die mir nun schon unendlich weit weg erscheint. 11:30 Uhr: Ohne ein bestimmtes Ziel erreicht zu haben, löst sich die Reihe pünktlich auf. Man geht langsam weiter. 11:32 Uhr: Erst jetzt beginnen die ersten wieder zu sprechen. Weitere Informationen: nockart.at
Mehr Texte von Vitus Weh

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