Rainer Metzger,
Weiland auf dem Eiland
Katakomben müssen nicht so duster sein, wie man sich das gemeinhin denkt. Man kann aufrecht stehen in ihnen. Es gibt die zugegeben etwas engen Abschnitte für die Gräber, aber auch diverse Abteilungen, in denen es sich durchaus wohnlich aufhalten läßt. Hier wurde das Abendmahl gefeiert, und man kann sich vorstellen, dass das Wort \"Feiern\" unter Tage bisweilen in den Doppelsinn ausbrach. Diese Katakomben jedenfalls sind geradezu geräumig. Sie befinden sich auf Malta, von wo der Verfasser dieser Zeilen gerade zurückgekommen ist. Reisen bildet bekanntlich. Das mit den Katakomben jedenfalls haben wir so nicht gewusst.
Bisher dachten wir auch, dass Katakomben eine Art Schutzbunker sind, in den sich das Frühchristentum, stets der Verfolgung gewärtig, zurückzog. Unmöglich, so erklärte uns nun der Führer, dass die Obrigkeit nicht mitbekommen hätte, was da an Erdreich zusammengescharrt wurde. Und überhaupt können diese Katakomben frühestens im vierten Jahrhundert entstanden sein. Wahrscheinlich aber erst im sechsten. Und da war das Christentum längst päpstlicher als der Papst. Die Schächte, Stollen, Kammern, das ganze subkutane Arrangement, es war in erster Linie ein Haufen Trauerarbeit.
Ja, und dann dachten wir, ob sich so etwas nicht heutzutage vielleicht wiederfindet. Dass es eine Art Katakombenstimmung ist, wenn sich die Marginalisierten und Viktimisierten, die der Quotenregelung und der Affirmative Action Bedürftigen, in den Sündenbockpfuhl werfen. Dass das Opfergehabe, das im Moment so en vogue ist wie weiland auf dem Eiland, weniger mit Gefährdung als mit Gebärdung zu tun hat. Dass sich hier also als Sekte geriert, was längst Staatsreligion geworden ist.
Geschichte, so wissen wir, schreiben immer die Sieger. Das heißt aber beileibe nicht, dass die Sieger immer die Täter sind. Manchmal behalten die Opfer die Oberhand, und das Christentum mit seinem als Mensch hingerichteten Gott ist das perfekte Beispiel für diesen subversiven Mechanismus. Es kann allerdings dann passieren, dass die Opfer zu Tätern werden, und auch dafür hat die heilige Mutter Kirche das ein oder andere Exempel parat. Derlei ist uns durch den Kopf gegangen in der letzten Woche. Auf Reisen kommt man endlich einmal zum Nachdenken.
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