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Yamasaki

Heute, an einem Datum, zu dem alles gesagt ist, sollten wir einmal mit rechten Gassenhauern herausrücken. Nummer eins liest sich so: „Das Abbild des kapitalistischen Systems ist keine Pyramide mehr, sondern eine Lochkarte. Die Gebäude sind keine Obelisken mehr, sondern haben sich, ohne einander länger herauszufordern, eng aneinandergepreßt wie die Kolumnen einer statistischen Graphik. Diese neue Architektur verkörpert ein System, das nicht mehr konkurrenzhaft, sondern berechenbar ist, in dem die Konjunktur zugunsten der Korrelation verschwunden ist. Dieser architektonische Graphismus ist der des Monopols: die zwei Türme des WTC, zwei vollkommene, parallele, einander flankierende Säulen von 400 Metern Höhe auf quadratischer Basis, vollkommen ausgewogene und blinde kommunizierende Röhren – die Tatsache, daß es zwei identische gibt, ist signifikant für das Ende aller Konkurrenz, das Ende jeder ursprünglichen Referenz.“ Der Bipol des World Trade Center, so sagt Jean Baudrillard in dieser berühmt gewordenen Stelle aus seinem 1976er Hauptwerk „Der symbolische Tausch und der Tod“, gibt das perfekte Symbol des Monopols ab. Dass er ein perfektes Symbol für noch viel anderes und Verschiedeneres, das doch das Gleiche war, abgab, ist seit zwölf Jahren traurige Gewissheit. Minoru Yamasakis Duo eines Signature Buildings, das zum Zeitpunkt von Baudrillards Buch gerade drei Jahre alt war, steht auch für das Ende aller Architektur, die Zerstörung. Der zweite Gassenhauer ist kürzer und lautet lapidar: „der Tag, an dem die Moderne Architektur starb“. Er stammt von Charles Jencks, dem Linguisten unter den Gebäudelehrern und wurde publiziert in seinem Schlüsselwerk zum Pastiche der Achtziger, im 1977 erschienenen „Die Sprache der postmodernen Architektur“. Das solcherart apostrophierte Datum ist der 16. März 1972: Der Sozialbaukomplex Pruitt Igoe, in der urbanen Zersiedlung von Saint Louis gelegen, sah an diesem Tag seinem Abriss entegegen. Wieder einmal hatten sich die utopischen Ideen und die kruden Praktiken des Modernismus zu Grabe getragen. Pruitt Igoe wurde Jencks' Totenrede wegen zum Symbol, und als solches ging es, verbreitet von Tom Wolfes 1981er Polemik „Mit dem Bauhaus leben“ und von Godfrey Regios Zeitraffer-Doku „Koyaanisqatsi“ aus dem gleichen Jahr, ins kollektive Gedächtnis ein. Pruitt Igoe steht, man sah es gleich, für das Ende aller Architektur, die Zerstörung. Der Planer von Pruitt Igoe ist seinerseits Minoru Yamasaki. Gleich zweifach hat er damit an einer speziellen Kulturgeschichte mitgewirkt und, ob er wollte oder eher nicht, zwei herausragende Kapitel in der Dialektik der Aufklärung verfasst. 1912 in Seattle geboren, 1986 gestorben, hat Yamasaki nur noch eines der Zerstörungswerke erlebt. Am 11. September soll eine spezielle Erinnerung an ihn gehen.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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