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Reading Andy Warhol: Kalkulierter Tippfehler mit Katze

Mit großen grünen Augeschlitzen schaut ein quietschgelber Katzenkopf aus der Seite heraus. Die typische, kalkuliert simplifzierende Linie des frühen Andy Warhol. Das ganze ist ein Offsetdruck nach einer abgeklatschten Tuschezeichnung, die nach der Vervielfältigung handkoloriert wurde. Eine Seite aus "25 Cats Name[d] Sam and One Blue Pussy" von Charles Lisanby und Super-Andy. Erschienen 1954, zeigt das Buch einerseits die humoristische Meisterschaft des Pop-Art-Stars, andererseits wirft es im Kontext einer Ausstellung im Münchner Museum Brandhorst Licht auf eine kunsthistorisch bislang vernachlässigte Leidenschaft des Künstlers: das Buch. Die Schau "Reading Andy Warhol", in der bis zum 12. Jänner 2014 über 55 Werke präsentiert werden, die er als Künstlerbücher konzipiert, illustriert oder deren Titel er entworfen hat, ist die bislang einzige ihrer Art. Das verwundert, denn es ist kaum vorstellbar, dass es noch eine Facette dieses Lebenswerks gibt, die nicht schon längst beleuchtet worden wäre. Doch dem ist nicht so, und auch dieses Projekt hinterlässt offene Fragen.

Das chronologisch angelegte Projekt führt in fast schon mystifizierender, weiheähnlicher Atmosphäre durch alle Schaffensphasen und präsentiert lediglich knapp die Hälfte dessen, was bislang an Bucharbeiten bekannt ist. Kuratorin Nina Schleif, verantwortliche Referentin für das Museum Brandhorst, konnte nicht nur auf den Bestand des Hauses, sondern auch aufs Depot der Staatsbibliothek München zurückgreifen. Überdies steuerte das Williams College Museum of Art, Williamstown, Massachusetts, bedeutende Unikate bei. Zu sehen ist außerdem die wunderbare Serie von 19 Zeichnungen für "Mrs. Cook's Children" (1952/53) aus einer amerikanischen Privatsammlung. Leider unvollendet und unpubliziert geblieben, zeigt es das muntere Treiben einer vielköpfigen Kinderschar über einen Tag hinweg. Dann die berühmten "Shoes", mit denen die Literaturgeschichte gegen den Strich gebügelt und etwa Gertrude Steins "Alice B. Toklas" zu "Alice B. Shoes" mutiert. Ein Satz, schlicht unter einer der klassischen Schuhzeichnungen platziert. Zum Abschluss vielleicht der Höhepunkt: "Flash – November 22" von 1963. Elf Siebdrucke mit Textbögen, die sich auf den Tod J. F. Kennedys beziehen und die Ereignisse der Ermordung wie Agenturmeldungen wiedergeben.

Fazit: Bücher, speziell Künstlerbücher gehörten zum Kerngeschäft des spröden Meisters. Und er war ein sorgfältiger Arbeiter, der das System gegen den Strich bürstete. Ausstreichungen und falsche Rechtschreibung ließ er stehen. Ganz bewusst, wie Schleif im Zuge ihrer Forschungen herausfand. Kreierte er sein Klischee durch derartig kalkuliert platzierte Nachlässigkeiten; diesen Eindruck des ätherisch Absenten, der unbeteiligt über allen Wassern schwebte? Welche Rolle spielt also das Drucken und Buchgestalten im Werk? Darauf gibt die Ausstellung keine explizite Antwort. Stattdessen inszeniert sich im Halbdämmer und mit Spotbeleuchtung, mit einer an den Siebdruckduktus der Großformate erinnernden pathetisch-farbigen Wandbemalung in Gold oder Violett der typische Fetisch, wie er durch Legenden, Stories und Marktpreise über Jahrzehnte ins Gigantische wuchs. Licht- und Raumregie erinnern an die übertriebenen Dokudramen Guido Knopps. Manchmal will man dem White Cube nachtrauern. Und warum offeriert eine Ausstellung über Bücher eigentlich keine kleine Bibliothek, in der der Betrachter zum Leser werden kann? POPism ist übersetzt, Diaries, Kinderbücher gibt es ebenfalls im Buchhandel. All jene Titel wären doch wunderbar zu betrachten – und zu lesen. Stattdessen werden Exponate wie der "Index" oder "A Gold Book" als Digitalisate auf Schirmen im Multimediaraum durchgeblättert.

Und noch etwas: Der erste Satz der Pressemitteilung führte in die Irre. Dort wurde die Frage aufgeworfen, ob er ein Intellektueller oder doch bloß ein Comicleser gewesen sei. Und es hieß, Warhol habe ein "sehr inniges Verhältnis zu Büchern" gehabt. Die Überleitung danach wies zu seiner Faszination am Buchmachen und landete bei dem, was in der trotz allem sehenswerten Schau präsentiert wird: den eigenen Erzeugnissen. Doch wäre es nicht schön gewesen, herauszufinden, was und wie Warhol selbst gelesen hat? Der Factory-Manager, dessen Werk so aufs Engste mit seiner Biografie verknüpft ist, wäre vielleicht noch ein Quäntchen verständlicher, wäre dort noch ein wenig geforscht worden. Nina Schleif gab selbst den Impuls, sagte aber, die Zeit sei zu knapp gewesen und verweist auf den Katalog.

Mit Andy Superstar ist immer gut Kasse zu machen. Die Ausstellung wird erfolgreich, kein Zweifel. Zweifel jedoch dräuen mit Blick auf das, was noch hätte sein und was hätte anders zur Darstellung kommen können. Aber vielleicht ein anderes Mal. Die Kunstgeschichte ist mit Warhol noch nicht fertig.

Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Reading Andy Warhol
18.09.2013 - 12.01.2014

Museum Brandhorst
80333 München, Theresienstraße 35a
Tel: +49 89 238 052 286
http://www.museum-brandhorst.de
Öffnungszeiten: Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr


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