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Houghton

Denis Diderot gilt als der erste Kunstkritiker im modernen Sinn. Er hatte seine Favoriten (Chardin), seine Aussetzer (Greuze), seine Engstirnigkeiten (er kannte nur die Franzosen), aber alles in allem war er so subjektiv, so geistreich und so wortmächtig, wie man nur sein konnte im späteren 18. Jahrhundert. Seine Texte, in denen man den Ort und die Berichterstattung auf den einen Begriff „Salon“ bringt, erschienen bevorzugt in einem Organ namens „Correspondance littéraire“. Das war von spezieller, typisch moderner Paradoxie. Es stellte eine Öffentlichkeit nach heutiger Fasson her, es wurde dort debattiert, man frönte der Aufklärung und dem deftigen Austausch von Urteilen und Vorurteilen. Das Verfahren seiner Verbreitung indes war dem gerade entgegengesetzt: Handschriftlich kopiert kursierte das Blatt allein an einigen europäischen Höfen; die Intelligenz zeigte Meinungsfreiheit, vorgeführt für die Hocharistokratie. Eine der prominenten Leserinnen Diderots war die russische Zarin Katharina. Zweifellos hatte sie Geschmack, und damit sind wir beim Thema. Im Jahr 1779 kaufte sie gleich mehrere Dutzend Bilder aus einem englischen Landschloss heraus, verleibte sie der kaiserlichen Sammlung ein, von wo sie dann in der Eremitage landeten. Nun sind diese Bilder an ihren Stammsitz zurückgekehrt, für eine, wie das Begleitheft nicht zu unrecht vermerkt, „once-in-a-lifetime exhibition“. Velazquez` Kopfporträt des Papstes Innozenz, diverse Werke von Rubens, Rembrandt und wie sie alle heißen, prangen nun wieder an jenen Wänden, die sie vor mehr als 200 Jahren Hals über Kopf verließen. Dass das der Liegenschaft zugute kommt, braucht nicht zu verwundern. Houghton Hall liegt in Norfolk. Die Crème der englischen Klassizisten hat daran gebaut und ausgestattet, und entsprechend weiß bis grau gibt sich das Interieur. Mit den Bildern geht es jetzt wieder herrlich bunt zu, vielfältig und sehr traditionsgeladen, denn nichts was wegging seinerzeit war wirklich aktuell. Man sammelte das gut Abgehangene, und das war immer schon etwas teurer. Robert Walpole, Britanniens, wie man sagt, erster Premierminister, hat es in den Jahren nach 1720 angeschafft. Heute kennt man eher seinen jüngsten Sohn, Horace Walpole, den Initiator der Neugotik in Architektur (Strawberry Hill) und Literatur (The Castle of Otranto). Wieder eine Generation später, die Sippschaft hörte nun auf den Namen Cholmondeley (sprich: Tschummli), war man so bankrott, dass das bewegliche Gut veräußert wurde. In der Ausstellung wird das tunlichst verschwiegen, die Familie residiert noch vor Ort und feiert die jetzige temporäre Rückkehr der Auswanderer als die eigentliche Haupt- und Staatsaktion. Bartolome Esteban Murillo. Maria Immaculata. Öl auf Leinwand 195x145 cm, ca 1680. © The State Hermitage Museum James Christie, der Begründer des Auktionshauses, hat beim damaligen Deal mitgespielt, und das tut Christie's auch jetzt. Natürlich ist die Schau ein diplomatischer Akt auf höchster ökonomischer Ebene, ein wenig Connection der Ölfirmen spielt ebenso mit, und nachdem London längst zwischen Arabern und Russen aufgeteilt ist, wird hier in ureigen britischer Mischung aus Understatement und Kolonialismus dazu bewogen, das Geld doch in den wunderbaren Waschsalon des Kulturellen zu tragen. Mammon reimt sich auf Kanon. Im Fall von Houghton Hall ist das eine Win-Win-Situation. Bis 29. September; www.houghtonrevisited.com
Mehr Texte von Rainer Metzger

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