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Attrappe

Von der öffentlichen Meinung, die ansonsten schnell dabei ist, überraschend wenig kommentiert, hat sich in den letzten Wochen ein bemerkenswertes historisches Theater vorbereitet. Am 12. Juni gab es die Grundsteinlegung, am 16. den Tag der offenen Baustelle und am 21. Juni den Beginn der Arbeiten an den Fundamenten zum Berliner Stadtschloss. Es nennt sich Humboldt-Forum, soll später eine Vielzahl an Funktionen verkörpern, aber ist doch vor allem eines: eine Anhäufung falscher Thesen über den Begriff der Geschichte. Es ist eine Attrappe. Humboldt-Forum, Berlin, Visualisierung Natürlich kann man dem Bau, wie er in den Plänen von Franco Stella zugrunde gelegt ist, ansehen, dass er nicht aus dem 17. Jahrhundert stammt. Wenn man genau hinblickt: Dann ergibt sich eine gewisse Modernität für eine gezielte, und das heißt immer auch von Zynismus geprägte, von den Schründen und Brüchen der Historie gekerbte Wahrnehmung. Für alles andere, und das meint die berühmte Unaufmerksamkeit der von Walter Benjamin so genannten „taktilen Rezeption“, ist es ein Angebot, eine überbordende Einladung zum Eskapismus. Winfried Nerdinger hat 2010 am Architekturmuseum der TU München, das in der Pinakothek der Moderne beheimatet ist, eine Ausstellung inszeniert, das einer solchen Klitterung das abschließende Programm schrieb. „Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte“ hieß sie in Schiller'schem leicht verschobenen Chiasmus und lieferte von den japanischen Ise-Schreinen bis zum Marktplatz von Mainz en masse Beispiele dafür, wie man mittels neuer Architektur sich an alter abarbeitet. Soeben haben sie in Frankfurt das technische Rathaus aus den Siebzigern abgerissen und füllen nun die Lücke mit Häuschen aus einer nostalgischen Nicht-Zeit, die so tun, als stünden sie immer noch Spalier für den Krönungsweg der deutschen Könige. Nerdinger schien ein ohnedies vorhandenes Bedürfnis auf den Punkt gebracht zu haben. In Dresden war gerade die Frauenkirche neu aufgebaut worden, ein Drittel des aus der DDR-Kargheit herausragenden Schutts wurde wiederverwendet, so als bürge das für Authentizität. Das einzige indes, was tatsächlich aus dem Barock verblieben war, die Kellergewölbe unter dem Areal des Neumarkts, ist zerstört worden: Das Gemäuer musste, was sonst, einer Tiefgarage weichen. Und das ist das Problem all dieser Kampagnen: Sie wuchern brachial drauflos. Sie unterscheiden nicht zwischen Wiederherstellung auf der Basis von Überkommenem und Rekonstruktion. Kulissenhafte, eben Potemkin'sche Dörfer entstehen, die die Innenstädte möblieren und aus ihnen tatsächlich Dörfer machen. Ökonomisch-touristische Kalküle überwiegen, auf der Strecke bleibt der Ort, wie er eine Geschichte hat. Schloss Saarbrücken In Saarbrücken steht ein Schloss, das 1677 zum ersten Mal abgebrannt ist; bis 1696 haben sie es wiederhergestellt; dann wurde es 1739 abgebrochen, es gab bis 1748 einen Neubau; die Revolution hat ihn 1793 zerstört, bis in die 1870er wurde er rekonstruiert; der Weltkrieg zerbombte den Bau, in den späten Vierzigern fand eine grobe Wiederherstellung statt. Er blieb marode, 1978 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, den Gottfried Böhm gewann: 1981 wurde der Plan modifiziert, seither steht eine expressionistisch-kristalline Stadtkrone aus Glas und Stahl als Mittelrisalit vor aller Augen. Man sieht dem Saarbrücker Schloss an, wie Geschichte funktioniert. Dem Berliner Schloss wird man nicht ansehen, wie Geschichte funktioniert.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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