Rainer Metzger,
Wort
Bei mir zuhause, da bin ich autorisiert, ab und zu das Machtwort zu sprechen. Ich werfe dann die Lautfolge „Machtwort“ in die Runde, was zwar nicht unbedingt zur Lösung der Situation beiträgt, aber immerhin, durch den Gruppencode, zum familiären Zusammenhalt. Inspiriert ist das Verfahren durch Werner, die Comicfigur aus dem Flensburg der achtziger Jahre, der der Aufforderung „sachste einfach Bescheid, Wänä“ nachkam, indem er „Bescheid“ sagte.
Auf einem derartigen Niveau scheint sich auch die seltsame Idee zu bewegen, die die bayerische SPD gerade Wahlkampf mit Christian Ude treiben lässt. Vor einer hellen Wand, auf der in Großbuchstaben sein Nachname zu sehen ist, lächelt der Spitzenkandidat vom Plakat herunter und hält dabei ein Objekt in der Hand, das sich als die dreidimensionale Version des Wortes “Wort“ vorführt, in Rot und in Großbuchstaben. Dazu die Inschrift, wiederum in Versalien: „Ein Ministerpräsident, der Wort hält“. Womöglich besteht der Clou darin, Ude überhaupt als Ministerpräsident zu apostrophieren; wie es aussieht, wird er das nämlich nie und nimmer. Interessanter ist aber natürlich das skurrile Attribut, das ihm die Werbeagentur da mitgegeben hat.
Ude ist der Sohn eines bekannten Münchner Kunstkritikers. Ich kann mich noch gut an Karl Ude erinnern, und wir begegneten einander damals sicher auch auf Pressekonferenzen, bei denen es um die orthodoxe Conceptual Art ging: Um Werke wie Joseph Kosuths 1965er Neonarbeit „Four Words Four Colours“, die in der exakten Erfüllung des an die Wand Gehefteten bestand, wobei das „Words“ rot daherkam und in Großbuchstaben; noch deutlicher vielleicht Bruce Naumans Fotostück „Waxing Hot“ von 1966, in dem das, was da heiß eingewachst wird, ein dreidimensionales Objekt ist, das aus roten Großbuchstaben besteht und sich als „HOT“ liest.
Die Schlüsselszene liefert aber wie so oft Goethe. Ganz am Anfang seiner Tragödie blicken wir Faust über die Schulter, wie er sich das Johannes-Evangelium vornimmt, um es ins Deutsche zu bringen. Gut lutherisch steigt er mit „Im Anfang war das Wort“ ein, doch das Unbehagen folgt auf dem Versfuß. „Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin“, so der Universalgelehrte, gilt es ein anderes Wort für „Wort“ zu finden. Denn dies ist das Problem: Keine göttliche Stimme ist mehr vernehmbar, wenn man um 1800 „Logos“ eben mit „Wort“ übersetzt, kein Zusammenhang und keine Ganzheit stellt sich mehr ein. So schreibt sich die Moderne, und „Wort“ ist ein Four-Letter-Word geworden. Es bedeutet nur noch sich selbst.
Mit eben dieser Selbstreferenz, so sieht es aus, versucht nun Ude Wahlkampf zu machen. Im Grunde ist das Verfahren richtiggehend moralisch, denn es insinuiert, dass das einzige Worthalten, das einem Politiker, wenn er Ministerpräsident ist, zu Gebote steht, im in Händen Halten des Wortes „Wort“ als Objekt besteht. Offenbar hat Ude seine Chancenlosigkeit längst akzeptiert, denn die Buchstäblichkeit seiner Selbstdarstellung ist ja auch gehörig sophisticated.
Faust verwirft schließlich das Wort „Wort“, und er versucht es sodann nacheinander mit „Sinn“, „Kraft“ und „Tat“. Wünschen wir Ude entsprechend, dass er das alles auch noch in Händen halten wird.
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