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Der Subtext von Venedig: Politik im Schaufenster

Die Biennale von Venedig ist eine Ausstellung über Kulturpolitik. Das Format der Länderbeteiligungen ermöglicht einen Schaufensterbummel mit Einblicken in die jeweiligen (kultur)politischen Trends. Als erste Erkenntnis kann festgehalten werden, dass es immerhin 88 Staaten für wichtig erachten am Venediger Laufsteg zu defilieren, zehn davon zum ersten Mal. Venedig bleibt also ein attraktives Outlet zur Selbstdarstellung kulturpolitischer Offenheit, wenn auch nicht vergessen werden sollte, dass die Vereinten Nationen derzeit 193 Mitgliedsstaaten zählen. Insbesondere Afrika bleibt mit 6 Beteiligungen (Angola, Ägypten, Elfenbeinküste, Kenya, Südafrika, Zimbabwe) unterrepräsentiert. Die Vergabe des Goldenen Löwen für den besten Pavillon an das erstmalig teilnehmende Angola kann daher auch als Empowerment verstanden werden, was aber die hohe Qualität des Beitrag von Edson Chagas nicht schmälert, den auch ihr Verfasser vor Ort nur deswegen gesehen hat, weil ihn die Nachricht über die Preisverleihung noch rechtzeitig erreicht hatte, um den Besuch noch nachholen zu können. In manchen früher unbeachteten Ländern stellt die erstmalige Beteiligung in Venedig einen Erfolg für jene Kräfte dar, die sich auch innenpolitisch eine stärkere Beachtung aktuellen Kunstschaffens erhoffen. Die Biennaleteilnahme markiert dann einen Durchsetzungserfolg für jene Koalitionen dar, die national dafür lobbyierten. Sie bilden dann die Gruppe jener motivierten Pavillons, deren politischer Subtext von Öffnungen, Umschwüngen und lokal veränderten Hierarchien erzählen: Georgiens informeller Arsenaleanbau vermittelte etwas von jener Dynamik, ebenso wie die erstmalige Beteiligung des Kosovo. Dessen Künstler-Kommissär Erzen Shkololli wappnete sich gegen nationalen Missbrauch nicht zuletzt durch die Bestellung der österreichischen Kuratorin Kathrin Rhomberg. Internationalisierung, Identitätsbefragungen oder Klischeevermeidung sind drei häufige kultur- und imagepolitische Strategien, mit denen sich Länder auf das biennal stattfindende Schaulaufen vorbereiten. Obwohl Mathias Polednas »Dreiminutenpavillon« auch repräsentationskritisch gelesen werden könnte, zeigt sich das kulturpolitische Österreich nun endgültig als Teil des entspannt-etablierten Westmainstream, der mit »ausländischen« Kurator_innen und Künstler_innen ebenso gut umgehen kann, wie mit privaten und internationalen Geldgeber_innen und der Tatsache, dass vielen Künstler_innen Fragen der nationalen Selbstdarstellung egal geworden sind. Nur die traditionell hochrangige Politikdelegation fällt noch etwas aus dem coolen Rahmen des post-nationalen Public-Private-Partnership, mit dem etwa auch Deutschland identifiziert werden könnte, seitdem Nicolaus Schafhausen Liam Gillick vor vier Jahren eingeladen hat, den »deutschen« Beitrag zu leisten. Eine Variante diplomatisch verwässerter Kontextkunst – der durch die Außenämter vermittelte Pavillontausch zwischen Frankreich und Deutschland – bleibt allerdings folgenlos, was primär daran liegt, dass hier zwei Westmächte in bester Lage ihre Infrastrukturen tauschen. Es bleibt abzuwarten, ob in Zukunft auch Tauschvereinbarungen mit anderen – weniger gut ausgestatteten – Partnern folgen werden. Nicht-nationale Bespielungen oder Länderkooperationen bleiben dennoch die Ausnahme. Wie glückhaft diese sein könnten, zeigt das zu Recht von der Jury anerkannte Kooperationsprojekt zwischen Zypern und Litauen in einer Sporthalle nahe dem Haupteingang zum Arsenale. Berücksichtigt man jedoch Zyperns Teilungsproblem könnte auch dieses Format kulturpolitisch »national« gelesen werden, da es wohl einfacher ist mit Litauen zu kooperieren, als mit dem »eigenen« türkisch besetzten Norden. Die Eva-Peron-Saga in Argentinien, der »mythenreiche« indonesische Beitrag, »finnische« Wälder oder die »Seefahrernation« Portugal in einem Schiff. Es sind nur mehr wenige Beteiligungen, die direkt an nationale Mythen oder Zuschreibungen andocken. Man kommt aber in Venedig der nationalen Frage dennoch nicht aus und manche Beiträge spielen sogar intelligent mit ihren Stereotypen, wie Jeremy Deller, der in seinem Beitrag die Beteiligung am Irakkrieg ebenso unter den Titel »English Magic« packt, wie den unvermeidlichen Tee und eine Anekdote um einen illegalen Vogelabschuss durch Prinz Harry. Aus Rücksichtnahme auf härtere politische Realitäten verzichtete der Künstler übrigens auf die Ausstellung eines Transparents und auf Postkarten mit dem Slogan »Prince Harry kills me«, da das mitveranstaltende British Council befürchtete, dass diese Arbeit im Kontext des britischen Afghanistaneinsatzes, an dem auch Prinz Harry teilnimmt, zu Irritationen auf potenzieller Opferseite führen könnte. Die Schauplätze globaler Kulturarbeit liegen eben nicht nur an der Lagune, wie gerade das British Council weiß, dessen Station in Kabul im letzten August zum Ziel eines Anschlags wurde, bei dem zwölf Menschen starben. Es scheint als wäre die Darstellung globaler Realitäten in ihrer jeweiligen nationalen Ausformung einer der Wege, die viele beschreiten, um in Venedig zwischen internationalem Anschluss und lokaler Relevanz voranzukommen. Stefanos Tsivopoulus aus dem krisengeschüttelten Griechenland gelingt dies mit seiner Thematisierung von Ökonomien oder Koki Tanaka, der der weltweiten Sehnsucht nach Gemeinschaftssinn vor dem Hintergrund eines Post-Fukushima-Japan Ausdruck verleiht. Doch im gleichen Ausmaß wie es hier den Künstler_innen gelingt, aus lokaler Erfahrung international kompatible Erzählungen zu formen, gelingt es den kulturpolitisch Verantwortlichen ihre Länder als liberal, reflexionsbereit und realitätsnah ins Schaufenster zu stellen. Sogar das rechts regierte Ungarn verzichtet in dieser Umgebung auf offensichtliche Instrumentalisierung. Eines ist allen gemeinsam und die Kuratorin der erstmaligen Beteiligung des Königreichs Bahrain schreibt es – entschuldigend? – am Beginn ihres Katalogtexts: «Domestic realities have to be negotiated and balanced with the expectations of an international art audience.«
Mehr Texte von Martin Fritz

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