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Dig a Pony

WWTBD - What Would Thomas Bernhard Do Kunsthalle Wien, 17.5. - 26.5. Eine Nachlese Arundhati Roi erzählt in ihrem Roman „Der Gott der kleinen Dinge“ einen Witz, der von einem reichen Mann und seinen Zwillingssöhnen handelt, einem Optimisten und einem Pessimisten. Zum Geburtstag stellt der Mann dem Pessimisten teure Geschenke ins Zimmer und erlebt, wie sein Sohn die Geschenke auspackt, sich auf den Boden wirft und heult, weil es die falschen Geschenke sind. Darauf geht der Mann zum Zimmer seines optimistischen Sohns, das er mit Pferdemist hat füllen lassen. Die Tür ist zu, großer Lärm, viel Staub, als der Vater die Tür öffnet, Mist fliegt durch die Luft, sein Sohn ist nicht zu sehen, eifrige Schaufelgeräusche,- was er da tue, fragt der Vater. Sein Sohn verkündet mit begeisterter Stimme, er grabe, denn bei so viel Mist müsse es auch ein Pony geben. Bei What Would Thomas Bernhard Do, dem am Sonntag zu Ende gegangenen zehntägigen Eröffnungsfestival der neuen Direktion der Kunsthalle Wien, handelte es sich wohl eher um einen pessimistischen Patron. Die Frage, ob Thomas Bernhard sich gegen die gegenwärtige Krisenstimmung genauso vehement wehren würde wie seinerzeit gegen die kryptofaschistische Wiederaufbau-Ära, das Österreicher-sein-müssen und die Zumutung, kurze Sätze zu schreiben, wurde nicht gestellt. Aber es gab Pony-Momente. Zum Beispiel beim mutmaßlich poetischsten Setting, einem Gespräch zwischen dem Berliner Künstler Carsten Höller und dem in Bernhards Roman „Die Korrektur“ verewigten Tierpräparator Alfred Höller über Thomas Bernhard als Hausgast. Zunächst ging es um die Präparation von Vögeln, die Haut sei das Entscheidende, und es gebe je nach Vogel verschiedene Schnittführungen, dann würde ein Untergerüst gebraucht, - einig waren sich die Herren Höller über die Kunstfertigkeit des Vogelpräparationshandwerks. Bernhard schien als Kunde für Alfred Höller infrage zu kommen, zeigte sich jedoch zunehmend während immer weiterer Besuche interessiert an einer Dachkammer, und Alfred Höller arrangierte Kaffee-Tee-Kuchen-Runden mit seiner Familie und Bernhard, der in der Dachkammer Dinge tat, von denen Höller gern Genaueres gewusst hätte, aber irgendwie zu respektvoller Diskretion verdammt daran gehindert wurde, Bernhard zu fragen, trotz der Kaffee-Kuchen-Tee-Runden. Das Buch erschien, Bernhard kam nie wieder, Alfred Höller schien heute noch mitreißend erstaunt über die merkwürdige Begebenheit dieses einjährigen Hausgastes Bernhard in seiner Abstellkammer. Carsten Höller stellte zurückhaltend und uneitel die richtigen Fragen zur richtigen Zeit, ähnlich wie Vanessa Joan Müller an Herbert Lachmayer und Thomas D. Trummer an Kasper König, und das Teilhaben an der jeweils entstehenden Authentizität und Glaubwürdigkeit machte Vergnügen. Es ging dabei kaum um Krisen; König streifte die Aufgabestellung eines Kurators, der das Werk in Beziehung setze und am besten mit Leuten zusammen arbeite, von denen er etwas lernen könne, wobei nicht ganz klar wurde, von wem König eminent gelernt hatte. Gegenüber dem Klagen eines Münchner Sammlungsleiters am Tag zuvor, er habe so viel mit toten Dingen zu tun, dass – in einer Diskussion über performative Räume – ein lebendiger Menschenleib etwa in einer Performance im Museum eine enorme Wirkung erziele – ließ König erkennen, dass er künstlerische Artefakte für ziemlich lebendig hält und über ihre Vorder-, Unter- und Oberhinterteile, Instabilität und Kruppe, und etlichem mehr schön schwärmen kann. Die Neuaufstellung der Sammlung im Mumok erhielt von König Lob, die berühmte graphische Sammlung gegenüber dem Sacherhotel allerdings bürstete er wegen Batliners B-Bildern einigermaßen ab. An eher entgleisenden oder langweiligen Gesprächen konnte gelegentlich die Anschauung freuen. Der Auftritt von Helene Hegemann beispielsweise bot eine erhellende Studie über Kurzatmigkeit privilegierten öffentlichen Rauchens, das der Autorin und Filmemacherin von Kunsthallendirektor und Gesprächspartner Nicolaus Schafhausen ausdrücklich eingeräumt worden war. Der vor dem Gespräch gezeigte Film „Torpedo“ Hegemanns wurde formalästhetisch nicht weiter erwähnt. Vielmehr behandelte das Gespräch mit der unter zwanzigjährigen Autorin des zunächst gehypten, dann wegen Plagiat verhetzten Romans “Axolotl Roadkill“ die Bosheit der Medien, die Kaltherzigkeit mancher Verlage, Gewichtsverluste durch Liebeskummer und die Erbärmlichkeit, dass danach fast niemandem im partizipativ aufgeforderten Publikum mehr so richtig eine Frage einfallen wollte. Ob man das dem partizipativ versagenden Publikum dieses und andere Male vorwerfen kann, darf gefragt werden. Aber die Anlage auf einem erhöhten Podium wirkt eben nicht wie ein etwa runderes Auditorium, und Mikrophone erhöhen bei manchen Leuten die Lust aufs Hören der eigenen Stimme weniger. Schauwerte satt bot auch Schafhausens Unterhaltung mit TBA21-Direktorin Francesca Habsburg, von Ansichten paralleler Körpersprache bis hin zu thrillernden Fingerfächern blieb die Entertainmentvisualisierung dem geneigten Auge nichts schuldig. Das wird wohl kaum als Revolutionstraining nützen, und natürlich wäre es eine klasse Story, wenn eine friedliche Revolution aus einer Kunsthalle käme, aber es scheint sanft übertrieben, das schon gleich beim ersten Festival zu erwarten. Schafhausen gelang es, einem eher pöbelnden Poltern von Heinrich Dunst elegant die Spitze zu nehmen und mit seinem Team das Programm ohne unverzeihliche Einbußen durchzuführen. Das krankheitsbedingte Nichterscheinen Erwin Wurms verarmte das Gespräch zwischen Markus Schinwald und Thomas Trenkler über Popularität und Publikum nicht wesentlich. Der von erfreulich vielen Bildern unterfütterte Vortrag von Herbert Lachmayer stellte neben bezaubernd phallokratischen Rokokotorbögen die Idee einer ästhetisch motivierten, aktiven Dekadenz vor, für die Lachmayer ein psychotechnisches Selbstverständnis gegen den Managementabsolutismus entwarf. Der Irrationalismus könne immer neu erfunden werden. Duchamp habe auf die Frage, was aus dem Louvre er bei Feuer retten wolle, geantwortet, er wolle das Feuer retten, und so versuchte Lachmayer, zu einem „Aufstieg durch Abstieg“ zu ermutigen. Rainer Münz erklärte die globale Migration seit Beginn der Menschengeschichte und wies auf 4,5 % Erbgut vom Neandertaler bei Europäern hin. Die wirtschaftliche Kraft von Migranten, global einer Milliarde Menschen durch Geldsendungen in jährlicher Höhe von 300 Milliarden US-Dollar das Überleben zu erleichtern, übertreffe die Entwicklungshilfsbudgetierungen mehrfach und leiste reelle Umverteilung. Große Verzweiflung und wenig Trost hingegen verbreitete Liam Gillick, als er das Jahr 1974 anhand der Einführung des Barcodes, des Taschenrechners, und des Volvo 240 zum Startpunkt einer erschreckenden Entwicklung bis hin zur desolaten Gegenwart vorstellte, und das unheiltrübe Szenario gewann dunklen Drive durch die vorab geschickte Ansage, Gillick fühle sich beim Vortrag des Textes, als müsse er Frühstücksflocken essen, obwohl er nicht hungrig sei. Man könnte gegenüber Gillicks Düsternis das Pony darin sehen, dass, obwohl laut Gillicks Darstellung die Krise nun schon über 38 Jahre andauern würde und sich erschreckend tief in aktuelle Kunstproduktionen gefressen habe, die Welt noch immer nicht untergegangen ist. Und sich an den einmal bei den schönen Intermezzos von Erik Leidal gesungenen Bernharttext vom Unsinn aller Worte erinnern – und es dann dankbar und erstaunlich finden, wie einen selbst der stilsichere Suderer Thomas Bernhard je nach Not und Perspektive tröstet.
Mehr Texte von Gesche Heumann

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