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Gotthard Graubner 1930 - 2013

Um 1960, als New York sich endgültig an die Spitze des internationalen Kunstgeschehens setzte, gab es bestenfalls einen Ort, der dem Big Apple hätte Konkurrenz machen können. Dieser Ort war keine Stadt, sondern eine Gegend, und er hieß Rheinland. Mit seinen Mittelzentren Köln und Düsseldorf etablierte sich hier eine Szene, die der Vielfalt frönte und damit eine Epoche einleitete, in der es keine Bewegungen, Ismen, Kader mehr gab, sondern, wie die fünfte Documenta 1972 es dann nennen sollte, „individuelle Mythologien“. Eine der ebenso visionären wie einzelgängerischen Figuren war Gotthard Graubner. Mitte der fünfziger Jahre war er aus der DDR gekommen, hatte in Düsseldorf fertig studiert und sich seinen persönlichen Reim auf die Tendenzen der Zeit gemacht. Er ging abstrakt zu Werke, er arbeitete mit Monochromie und den subtilen Nuancen einer Flachheit, in der Farben ineinander übergehen und Interferenzzonen bilden. Gleichzeitig machte sich Graubner die neue Objekthaftigkeit zunutze, die von Pop und Nouveau Réalisme her über die Grenzen brandete. Was Graubner zunächst „Kissenbilder“, später dann nobler „Farbraumkörper“ nannte, entstand ganz konventionell auf der Basis von Leinwänden über Keilrahmen. Diese Konstruktion, buchstäblich Grundlage von Malerei seit Jahrhunderten, wird zu einem Träger, einer Halterung, einem Gerüst umfunktioniert, das dicke Lagen von Watte in der Fasson hält. Tatsächlich ergibt sich eine Art von Kissen, ins Karree gespannt, das nun Lasur für Lasur mit Farbe überzogen wird. Das Gebilde saugt sich voll, wird getränkt mit Kolorit, ein Schlund, der den Malstrom entgegennimmt. Ob es Gemälde oder Plastik ist, wird ununterscheidbar, eine Gemengelage, eine Hybride ist entstanden, angefüllt mit den optischen Sensationen eines Auftrags, in dem sich die Monochromie einer dominierenden Farbe mit den jeweils hinzugekommenen Kontrasten und Komplementaritäten ergänzt. Wie bei den Schüttbildern von Hermann Nitsch oder den Drippings Jackson Pollocks ergab sich das Werk aus der Physikalität von Material und Medium, waren es Elemente des Unvorhersehbaren und Unplanbaren, die das bewusste, kalkulierte Arrangement anreicherten. Seit Jahrzehnten war Graubner seiner Methode treu geblieben. Was dabei entstand, war ein Stil, so individuell wie international. Er agierte nicht im Verborgenen, aber die große Präsenz war ihm auch nicht vergönnt. Den spektakulärsten Auftritt hatte er vielleicht, als letztes Jahr der Bundespräsident Wulff mit sich und seinem Rücktritt rang, unter steter Anteilnahme der Öffentlichkeit. Der Fond, den Wulff bei seinen Erklärungen unemüdlich hinter sich hatte, war einer von Graubners Körpern, großformatig, monumental und doch von einer einnehmenden Selbstverständlichkeit. Gotthard Graubner ist tot. 83jährig verstarb er am vergangenen Freitag.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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