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Lassnig

Seit über 50 Jahren ist eine der bedeutendsten Malerpersönlichkeiten Österreichs auch seine große Ausnahmefigur. Ihre Exzeptionalität besteht im Verzicht auf jene Exaltiertheit, die im Kunstgeschehen dieses Landes ansonsten unermüdlich Urstände feiert. Während die Kollegen das Innere nach außen stülpen – Oskar Kokoschka die Nerven, die Wiener Aktionisten das Blut - lässt Maria Lassnig Eindrücke durch sich hindurch passieren. Durch sich hindurch: das heißt, durch das Herz und das Fleisch. Im säkularen Streit zwischen dem Expressiven und dem Impressiven hat sie sich für das letztere entschieden. Bei Maria Lassnig wird nicht aus-, sondern abgedrückt. Maria Lassnig, Du oder ich, 2005, Friedrich Christian Flick Collection, © Maria Lassnig Bewusstsein, sagt die Phänomenologie, entsteht über die Selbstbeobachtung in einem gegebenen Moment. Diese Beobachtung ist nicht so distanziert und nicht so philosophisch, wie eine abendländische Rationalität es gerne hätte, sie funktioniert körperlich und körperhaft. Maria Lassnig ist die Phänomenologin in der Kunst. Nun bekommt sie dafür, wie üblich spät genug, den Goldenen Löwen auf der kommenden Biennale. Vor zwei Jahren hat es Franz West erwischt, den anderen großen Nicht-Expressiven in der österreichischen Kunst. Auf ihre Weise folgen beide ihrem Landsmann Ernst Mach und dessen „Analyse der Empfindungen“. Sie gehen beide den Spuren und Markierungen nach, den Indices der Welt, wie sie sich gewissermaßen passgenau auf der Epidermis hinterlassen. Bei Maria Lassnig ist es natürlich ein weiblicher, von einer Welt der Maskulinität immer schon beargwöhnter Körper, der sich hier zu empfinden sucht. Es ist ihr ureigener Körper, und er ist auf die Leinwand gekommen, wie er gerade wahrgenommen wird: platt wie gewalzter Teig, knochig wie eine Keule, deformiert und skelettiert, abgekürzt oder in die Länge gezogen wie in einer kafkaesken Strafaktion. Maria Lassnig malt sich, wie sie sich in einer gegebenen Situation, stehend, sitzend, liegend vorkommt. Der Weg vom Haptischen über das Motorische ins Optische soll so unmittelbar, unvermutet, unbeschränkt wie möglich absolviert werden. Was das Gemälde vorführt, ist die Abkürzung ins Visuelle, die eine komplexe Leiblichkeit soeben genommen hat. Was also gezeigt wird, ist keine Metapher, es folgt keinem poetischen Sprung vom Gemeinten ins Umschriebene. Diese blockhafte Masse, diese seltsame Gerätschaft , diese krude Abbreviatur ist das buchstäbliche Ergebnis einer gerade so erfassten Befindlichkeit. Damit hat Maria Lassnig ein Lebenswerk getan. Und ein Jahrhundertwerk.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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