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Egon Friedell

„Man kann“, so geleitete er seine Leserschaft in seinen zweiten Vielhundertseiter hinein, „ebensogut dieses Werk vor jenem lesen wie jenes vor diesem, aber auch nur dieses und sogar beide nebeneinander; und man kann auch keines von beiden lesen.“ Die gelinde Koketterie mit der Unterhaltsamkeit sowohl von diesem Werk, der „Kulturgeschichte des Altertums“, als auch von jenem, der „Kulturgeschichte der Neuzeit“, bezog Egon Friedell aus langjähriger Bühnenerfahrung. Er war Kabarettist, er war Schauspieler auf den vielen Bühnen Max Reinhardts, er war Wiener und er war entsprechend ein Universalgenie. Es ist nicht zuviel gesagt, bezeichnet man seine beiden Enzyklopädien als die wenn nicht größte, so bezeichnendste Leistung, die Österreich auf kulturellem Gebiet im 20. Jahrhundert bot. Er hatte auch sein genuin österreichisches Ende. Am 16. März 1938, drei Tage nach dem viel bejubelten und momentan wieder im Tunnelblick auf den eigenen Opferstatus zelebrierten „Anschluss“ an Nazi-Deutschland, beging er Selbstmord. Er sprang aus dem Fenster seiner Wohnung im dritten Stock der Gentzgasse 7 im 18. Wiener Bezirk, nicht ohne vorher die Passanten vor sich und seinem massigen Körper zu warnen. Er war längst panisch, er hatte sich selber hysterisiert, die Hilfsangebote und Ausreisepapiere, die von Freunden wie Carl Zuckmayer, Alfred Polgar oder Berta Zuckerkandl kamen, lehnte er ab. Franz Theodor Csokor, der ihn nach Polen mitnehmen wollte, gab er die Begründung: „Dort kommen sie auch hin – sie kommen überall hin, und dann folgen die Chinesen. Unsere Welt ist am Ende.“ Briefmarke zum 100. Geburtstag von Friedell aus 1978, © Österreichische Post Man kann das lesen – oder auch nicht - in der Biografie des Meisters, die soeben zum 75. Todestag im Verlag C.H. Beck erschienen ist. Bernhard Viel hat sie verfasst, er ist Literaturwissenschaftler und, das kann vorkommen, Wien-Fan, wie er über viele Seiten hinweg die Stadt beschreibt und seinen Helden ein wenig aus den Augen verliert. Zu lernen ist, wie Friedell sein riesiges Pensum absolviert, indem er sich gnadenlos bei sich selber bedient, aber auch die Wortspenden einsammelt von denen, die er beschreibt. Von Anfang an, seit seiner Dissertation über Novalis, fließen Fremdes und Eigenes hinein in den Pool an Bonmots. Friedells Biograf bringt es - ein wenig zaghaft in einer Anmerkung - auf den Punkt: „Heute würde man das Plagiat nennen.“ Zu lernen ist auch, wie die Danksagung am Ende auch ein Lektorat bedankt, bei dem man wieder einmal zweifeln darf, ob es je existierte: Schiele stirbt mit 26, der Kaiser im Jahr 1917, Hitler wird am 22. Januar 1933 Reichskanzler, Schuschnigg heißt gleich zweimal Karl mit Vornamen, und es tritt, besonders apart, ein Prosper Mallarmé auf (Stéphane Mérimée dagegen fehlt). „Es hat eine symbolische Bedeutung, daß der Holzschnitt, der die Wünsche und Gedanken eines erwachenden, emporstrebenden Zeitalters in alle Welt trug, ein Hochdruckverfahren war, der Kupferstich, der die Gefühle einer absterbenden, in sich versenkten Epoche gestaltete, ein Tiefdruckverfahren, die Lithographie aber ein Flachdruck.“: Dies ist immer noch eine seiner allerschönsten Sentenzen, eine Trouvaille unter ungeheuer vielen, auch wenn beim Wiederlesen seiner Kulturgeschichten und bei der Lektüre seiner Biografie jetzt auffällt, wie er bei aller Souveränität doch vor den Zeitläuften saß wie das Kaninchen vor der Schlange. „Doch haben diese“, schreibt er über die alten Mykener in aller Selbstverständlichkeit, „auch einige unarische Eigenschaften besessen, unter denen der Mangel an Wahrheitsliebe die hervorstechendste ist.“ Die Gegenwart hat sein Denken nicht minder versehrt. Wie auch anders: Der Komiker Friedell ist ohne Tragik nicht zu haben. Bernhard Viel, Egon Friedell. Der geniale Dilettant – Eine Biographie, München: C.H.Beck 2013
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
friedell
Jörg Schwerzmann | 22.04.2013 05:36 | antworten
Lieber Rainer Metzger, Ich bin froh dass Sie uns Ihre Ansichten seit einiger Zeit wieder zugänglich machen, vielen herzlichen Dank! Aber jetzt muss ich Sie was fragen: ist es nicht etwas frustrierend, Texte, Bücher und sowas immer nur darauf hin zu untersuchen, ob da falsch zitiert, Jahreszahlen verwechselt oder Namen falsch geschrieben wurden? Sie brauchen doch diese Pose des Korrektors nicht einzunehemen.

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