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Kunstkammer

In seiner aktuellen Causerie versucht Vitus Weh, die Wogen der Begeisterung, wie sie gerade an die neueröffnete Kunstkammer des Wiener Kunsthistorischen Museums heranbranden, etwas zu glätten. Die Räume des überbordenden Hauses, so findet er eine schöne Formulierung, hätten dem Gebotenen sowohl die „Kunst“ als auch die „Kammer“ ausgetrieben. Dazu im folgenden eine kleine Ergänzung. Das Kunstmuseum, so kann man sagen, ist eine Erfindung der Zeit um 1800. Die Kunst war gerade zum Kollektivsingular geworden und damit zum Sinnersatz für den nur noch individuell existierenden Gott - wie noch die Nation, das Volk, die Geschichte, der Geist oder auch die Rasse. Das Museum stellte vor Augen, wie und warum sich mit der Kunst im Singular die großen Fragen beantworten ließen; beantworten in Gestalt der Werke, der Meisterwerke, der kanonischen Großartigkeiten samt ihren kanonischen Schöpfern. Jedes für sich waren sie präsentiert, für sich allein und ebenso als Vertreter der anderen Kollektivsingulare: Sie standen für eine Epoche, eine Topografie, eine Mentalität, eine Situation. Der erste große Repräsentant dieser Idee ist das Alte Museum in Berlin. Saalansicht Saal XXXII © Kunsthistorisches Museum Wien Das Kunstgewerbemuseum dagegen gehört in den Historismus, wo die Geschichte zur umfassenden Instanz geworden war. Der zentrale Imperativ war die Vermeidung von Anachronismen, und um ja nichts falsch zu machen auf den Bildern und in den Arrangements, ging man als Künstler zu den Gegenständen, um sie und ihre Gemachtheit zu studieren. Sie reihten sich auf, dutzendfach, en gros, und standen weniger für sich als für die Systematik, in die sie gehören. Das Victoria and Albert Museum in London hat dieses Konzept angestoßen. Schließlich kamen, vor der Jahrhundertwende, die seltsamen Mischformen, die im Grunde bis heute den Museumsgedanken verkörpern. Es wurden Konglomeratbauten erstellt, die so taten, als entstammten sie exakt den Epochen ihrer Exponate. Waren diese romanisch, so auch die Räume, die sie zeigten; sie hatten Kreuzrippen bei gotischen Altären oder eine Säulenordnung, wenn sie Renaissance-Plastiken beinhalteten. Das Bayerische Nationalmuseum in München, das Schweizerische Landesmuseum in Zürich oder das Märkische Museum in Berlin stehen dafür. Dafür steht auch auch das Kaiser-Wilhelm-Museum in Berlin, vielleicht am ehesten mit dem KHM vergleichbar. Dem Konzept Wilhelm von Bodes, nach dem das Haus heute heißt, gemäß, wurden Bilder, Skulpturen, Objekte zusammengestellt, wie sie eine Zeit, eine Zeitlichkeit, einen Zeitgeist veranschaulichen. Es war das Ensemble, das die Idee vermittelte, zusammengefügt aus Meisterstücken und Accessoires in einem. Zum ersten Mal schon im 1843 eröffneten Musée Cluny in Paris, dort allerdings in originalem Rahmen eines Palais aus dem Spätmittelalter, vorgeführt, wollen diese Konzeptionen ein integratives Bild vermitteln, gegenüber dem ausschnitthaften der klassischen Pinakotheken der Zeit nach 1800. Der britische Historiker Stephen Bann bringt es auf das Gegensatzpaar eines „synekdochischen“ und eines „metonymischen“ Verständnisses. Als das KHM 1891 eröffnet wurde, kam die synekdochische Figur gerade in Konjunktur. Die traditionellen Ressorts wurden erweitert um des Ensembles willen, und man kaufte hinzu, den Wiltener Kelch etwa oder die Krumauer Madonna, Objekte, die in ihrer selbstverständlichen Zugehörigkeit zu einer katholischen Welt niemals in einer Sammlung der Renaissance aufbewahrt worden wären. So gibt es in der jetzigen Präsentation eine Zäsur. Die ersten Räume bergen zum Großteil sakrale Dinge und damit Schätze, die erst die Moderne musealisierte. Dann kommen die herkömmlichen Spektakelträchtigkeiten aus den diversen Kollektionen der diversen Habsburger. 1990 hat man sich entschlossen, für alles den alten Begriff „Kunstkammer“ aufzuwärmen. Er stimmt, ob die Räume heute dazu passen oder nicht, ohnedies bestenfalls zur Hälfte. Wenn man es streng meinte, müsste das KHM eine Abteilung für Plastik anbieten – wie das Bode-Museum sie insgesamt darstellt. Wie es sie noch darstellt, denn in Berlin will man gerade der Orthodoxie entkommen zugunsten eines Allüberall von Beeindruckendem. Das wiederum hat das KHM schon längst.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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