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Folies-Bergère

In der Frankfurter Schirn läuft gerade eine Ausstellung, die „Letzte Bilder“ zeigt: zum Teil Alters-, jedenfalls aber Spätwerke, Hinterlassenschaften von Künstlern bevor sie, wie die alten Römer das nannten, zu den Mehreren gingen. Von Edouard Manet gibt es ein paar Blumenstilleben zu sehen, die der Meister vom Bett aus ins Karree fügte. Vielleicht markieren die durchaus delikaten Bildchen das Ende von Manets Chronologie. Manets Vermächtnisbild indes, das Gemälde schlechthin, das Erbgut der Geschichte ist ein anderes: „Eine Bar in den Folies-Bergère“, ausgestellt im Salon des Jahres 1881, entstanden zwei Jahre vor seinem Tod, aber schon in dessen Angesicht. Manet hinterließ der Welt darin ein Exerzitium in purer Phänomenalität. Bis heute muss man ins Grübeln kommen angesichts der Barfrau, die einfach so dasteht; bestellen, so sieht es aus, kann man eher nichts bei ihr. Im Spiegel, der fast das gesamte Bildformat einnimmt und die Szenerie auf seine Weise wiederholt, kann man ihrer nochmals gewahr werden, und hier nun scheint sie zugänglicher, sie beugt sich einem Gast entgegen und wirkt sogar ein wenig schüchtern. Wie kommt es nun, dass die Realität auf erster Ebene und ihre Reflexion so wenig übereinstimmen, zumal der hinzutretende Herr, so wie er sich von rechts kommend zeigt, auch im Vordergrund auftauchen müsste? Im Spiegel bieten sich noch weitere Seltsamkeiten dar, vor allem ist das Defilee der Flaschen auf dem Tisch aus der Fasson geraten: Stehen die Bouteillen auf erster Ebene am hinteren Rand der Marmorplatte, müssten sie sich gespiegelt auf deren vorderem wiederfinden; Manet aber verweigert diese simple optische Illusion. Die Differenzen sind zwar nicht so gravierend, dass man Manets letztes großes Werk gleich im Sinne einer Collage, einer montierten Aufteilung von Wirklichkeit lesen müsste. Doch sie geben zu verstehen, dass zwischen der Reflexion, wie sie Vorder- und Hintergrund per Spiegel verbindet, und jener Reflexion, die nichts anderes ist als Nachdenken, Überlegen, Bewusstmachen ein Lücke klafft. Edouard Manet, Un bar des Folies-Bergère, Courtauld Institute of Art Gallery Die perfekte Qualität von Manets Mise-en-scène besteht darin, dass man das Einfach-Da-Sein der Phänomene in den Bildern ebenso einfach geschehen lässt. Die Motive sind was sie sind, optische Spektakel und körperliche Fakten, schlichte Anwesendheiten, deren Sensationelles im Vorhandensein besteht. Manet interpretiert nicht und gibt nichts vor, was die Bedürfnisse nach Sinn befriedigen würde. Er zeigt eine Welt ohne Erklärung. Manet liefert Unbegreiflichkeit im Wortsinn, nichts als Optik und alles, bloß keinen Sinn. Doch vielleicht liegt diese Unbegreiflichkeit vor allem auch in der Vorführung dessen, dass es so viel nicht zu begreifen gibt. Es gibt nicht so viel zu verstehen. Um so mehr gibt es zu sehen. „We’re only in it for the Manet“ meinte der amerikanische Conceptual Artist Dan Graham einmal und spielte dabei auf Frank Zappas LP „We’re only in it for the money“an. Im Angesicht der „Bar in den Folies-Bergère“ sagt Grahams Bonmot indes nichts anderes als: die Wahrheit.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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