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Jordaens und die Antike: effektvoll, kalkuliert und etwas oberflächlich

Auf Brüssels so genanntem „Kunstberg“, wo vom Instrumentenmuseum in reinstem Jugendstilgepräge, über den Publikumsmagneten Magritte-Museum, auch die Königlichen Museen der Schönen Künste und der Palast der Schönen Künste (Victor Hortas letzte Baukreation) residieren (vom Königlichen Schloss gegenüber einmal abgesehen), ist derzeit genuin Flämisches konzentriert: mit all seinen Kunstaromen und atmosphärischen Eigenheiten, dies zudem gedehnt über einen Zeitraum von fast 400 Jahren. Gemeint ist zunächst der Barockkünstler Jacob Jordaens (1593 – 1678), dessen spezielle Auseinandersetzung mit der Antike im Königlichen Museum der Schönen Künste ausgebreitet wird. Parallel trumpft der flämisch-erdige Expressionist Constant Permeke (1886 – 1952) retrospektiv im Palast der Schönen Künste auf. Ganz anders als die beiden fraglos bedeutenderen Zeitgenossen, Peter Paul Rubens und Anthonis van Dyck, die er beide (nach 1641) um fast vier Jahrzehnte überlebte, richtete sich Jordaens primär, oft figurativ überfüllt, auf das Volksleben und die Erdnähe seines flämisches Lebensraumes, den er im Grunde zeitlebens nie verließ. Van Dyck und vor allem Rubens - das waren die Superstars, Internationalisten, Malerfürsten des Barockzeitalters mit einer adäquat europaweiten höfischen Auftragsklientel. Jordaens indes war nicht minder Geschäftsmann, bediente gezielt den Geschmack eines fast schon kleinbürgerlichen Kunst- und Unterhaltungskosmos im großbürgerlichen Antwerpen der Händler. Dazu gehörte auch die unendlich variierte Illustration volkstümlicher Spruchweisheiten, die ihn vor allem bekannt gemacht haben. Brüssel plant mit seiner Ausstellung aber gerade die Korrektur des überbekannt Banalen in Sachen Jordaens. Der mythologische Kosmos wird an der Brüsseler Rue de la Régence 114-fach aufgefahren – das Oeuvre umfasst rund 1000 Arbeiten, davon allerdings über 500 Werkstattprodukte. Bekannt geworden ist Jordaens nicht minder als Liebhaber eines immer wieder riesenformatigen Staffagetheaters aus Mythologie und biblischen Stoffen. Über Jordaens, der 1615 Meister der Lukasgilde wurde und 1616 eine Tochter seines Lehrers, Adam van Noort, heiratete, wohl bis 1620 freier Mitarbeiter der Rubens-Werkstatt war, ist in biografischer Hinsicht nicht sehr viel mehr zu sagen, als dass er malte und malte. Besonders in seiner temperamentvollen Frühphase, 1615 bis 1630, saugt Jordaens die malerischen Errungenschaften seiner Zeit auf wie ein Schwamm, der allerdings die Flüssigkeit, die er aufnimmt, ungefiltert wieder abgibt. Die dramatische Lichtregie entlehnt er etwa den italienischen Caravaggisten, die üppig verdrehte Körpersprache bei Peter Paul Rubens, ohne jemals dessen anatomische Brillanz und Humanität zu erreichen. In keinem seiner Bilder wird etwas hinterfragt, kommentiert, gar infragegestellt. Alles ist immer effektvoll kalkulierte, zu oft personenüberfüllte Dekoration der Oberfläche des jeweiligen Themas. Dennoch – was die Ausstellung zeigt, war in dieser thematischen Antiken-Dichte bislang nicht zu sehen. Das chronologisch angelegte Jordaens-Projekt wird in neun Kapiteln mythenträchtig aufgefächert. Wobei der volkstümliche Jordaens auch hier nicht zufällig das lebhafte Themenspektrum favorisierte: von Äsops Fabeln bis zu Homers „Odyssee“ und Ovids „Metamorphosen“. „Der Satyr beim Bauern“, nach Aesop, thematisiert das Aufeinaderprallen des moralinen Zeigefingers zur Mäßigung mit der Einsicht in die nun mal genussorientierte Struktur des Menschen (und der Flamen). Die Versionen des Themas beginnen 1615 und zeigen 1645 einen Bauern mit dem offensichtlich karikierten Gesicht des Künstlers. Auch die zahlreichen Allegorien der Fruchtbarkeit und des Überflusses entsprechen dem Wesen des Künstlers - und dem Beuteschema seines Geschäftsinns Richtung Antwerpener Geschäftswelt. Dabei entlehnte, transformierte er etwa Bacchus und Ariadne von einem antiken Sarg und Nymphen oder den Farnese-Herkules von klassischen Skulpturen auf Kupferstichen. Jordaens’ „Mittelklasse-Image“ versucht die Ausstellung mit Hinweisen auf deutschen Sammler-Adel zu entkräften: Landgraf Wilhelm VIII. von Hessen Kassel erwarb zehn Jordaens-Kreationen – Kassel, seitdem ausgestattet mit musealen Jordaens-Konzentraten, wird ab Februar 2013 die deutsche Station dieses Ausstellungsprojekts sein.
Mehr Texte von Roland Groß

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Jordaens und die Antike
12.10.2012 - 27.01.2013

Le Musée d'Art ancien
1000 Brüssel, Rue de la Régence 3
http://www.fine-arts-museum.be
Öffnungszeiten: 10 - 17 h


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