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Erinnerung im Freud Museum

Museen, deren Leitung gerade neu ausgeschrieben wurde, üben auf mich einen magischen Reiz aus. Nicht dass ich mich auf jede dieser Stellen gleich bewerben möchte, nein, es ist vielmehr die Möglichkeitsform des Museums selbst, die sich dadurch öffnet. Man weiß: dieses Museum / diese Kunsthalle war jetzt lange so, und bald könnte / wird einiges anderes werden. Diesen kurzen Schwebezustand finde ich enorm anregend. Man kann dann auf wunderbare Weise zwei Museen gleichzeitig besuchen: Jenes, das eben noch Bestand hat, und jenes, das man sich aus der jeweiligen Museumssubstanz heraus erträumen mag. Jüngst aber, beim Wiener Sigmund Freud Museum, hat das mit der Möglichkeitsform nicht so funktioniert. Auch dort ist die Stelle der Direktion aktuell ausgeschrieben, aber in der berühmten „Berggasse 19“ konnte ich beim besten Willen nichts Zukünftiges imaginieren. Einerseits sind die dortigen Ausstellungsräume tatsächlich konzeptionell und gestalterisch (von Wolfgang Tschapeller, Peter Sandbichler und Werner Feiersinger) gut gemacht, andererseits wird hier bereits seit 1989 intensiv mit zeitgenössischer Kunst als Kontrastmittel gearbeitet. Den Beginn machte damals übrigens Joseph Kosuth mit einer Installation von „Zero & Not“, die ihrerseits einen Textausschnitt aus Freuds „Zur Psychopathologie des Alltagslebens" verarbeitet. Was aber das Denken an irgendeine Zukunft am meisten behinderte, war das omnipräsente Thema der Erinnerung. „Erinnerung“ schien das Museum zur Gänze durchdrungen zu haben. Nun ging es natürlich schon Sigmund Freud, der von 1891 bis 1938 seine Praxis in diesen Räumen hatte, ganz wesentlich um Erinnerung. Genauer gesagt um verdrängte Erinnerungen, die zu körperlichen Leiden führten und die es daher aufzuarbeiten gilt. Die Aufarbeitung geschah vor allem durch ein Graben in den Schichten der Erinnerung mittels „Sprechtherapie“. Das Sprechen wiederum fand vorwiegend liegend (geschichtet) auf einer Couch statt. Und als ob Freud seine archäologische Ausgrabungsarbeit an der Seele noch deutlich illustrieren wollte, gab es im Behandlungszimmer auch noch zuhauf tatsächliche archäologische Fundstücke. Von diesem buchstäblich polytechnischen Heilverfahren ist in Wien allerdings nicht mehr viel zu sehen. Als Sigmund Freud vor den Nationalsozialisten fliehen musste, nahm er sowohl seine heilende Behandlungscouch als auch seine helfende archäologische Sammlung mit. Beide befindet sich heute in London. In Wien verblieb bezeichnender Weise nur das Wartezimmer. Wie zum Ausgleich gehört dem Museum jedoch mittlerweile nicht nur die einstige Wohn- und Praxisetage von Sigmund Freud, sondern das ganze fünfstöckige Haus. Diese vielen Etagen sinnvoll zu nutzen, wird eine der Herausforderungen für die neue Direktion werden. Da es sich bei Etagen zugleich um Schichten handelt, darf man jedenfalls gespannt sein, wo räumlich das „Ich“ und das „Es“ angesiedelt sein wird. Persönlich hoffe ich nur, dass zumindest die nächste Etage unangetastet bleibt, da dort seit einiger Zeit ein bemerkenswertes Display-Konzept verfolgt wird. Konkret handelt es sich um eine leere, nicht renovierte Wohnung mit alten Tapeten und Möbelschatten, in der ab und an Sonderausstellungen stattfinden. Das Besondere daran: Es darf in diesen Räumen nicht verbessert werden. In der jüngst zu Ende gegangenen Schau von Michael Huey mit dem Titel „Archivaria“ ging es z.B. um Familienerinnerungen in einem ganz materiellen Sinne, d.h. um Fotografien, Schriftstücke und andere „bewahrte“ Relikte, die das zufällige Archiv einer jeden Familie bilden. Hueys Ausstellung passte insofern perfekt zum Display-Konzept. Jedes Loch, das in die Wand gebohrt wird, um daran ein Bild oder Objekt zu befestigen, bleibt genauso rekonstruierbar wie Fotos in einem Album. Nichts wird übergespachtelt, nichts neu gestrichen. Die Ausstellungen wechseln und es häufen sich die Kerben und Löcher in den Wänden. Das scheint mir ein schlicht perfektes Bild für Erinnerung zu sein. -- Link zur Stellenausschreibung
Mehr Texte von Vitus Weh

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