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Aufstieg und Fall der Apartheid: Fotografie und Bürokratie des täglichen Lebens: "Wir träumten uns die Rainbow-Nation"

"Als ich 1950 in Südafrika ankam, war ich völlig perplex", beschreibt der Fotograf Jürgen Schadeberg seine Eindrücke. Dem Deutschen, der bei der "dpa" sein Handwerk von der Pike auf erlernte, war die Heimat fremd geworden. Er hatte alles gesehen: die Deportation der Juden, und er wusste von Konzentrationslagern. Mit 19 Jahren wollte er nur fort aus der Heimat. Südafrika lag nahe, da seine Mutter dorthin ausgewandert war: "Das war eine merkwürdige Situation. Ich habe erst einmal nichts verstanden. Es kam mir einfach vollkommen idiotisch vor: Auf einem Schild steht 'Weiße Wäscherei'. Ich fragte mich, ob es eine eigene für schwarze Wäsche gebe? Jedenfalls kam ich vom Regen in die Traufe."

Seine Wahrnehmung, die der berühmte Foto-Journalist aus seiner ersten Zeit in diesem Land beschreibt, war ihm Grund genug für sein Engagement gegen die Rassentrennung. Seine Kollegen und er kämpften mit Bildern gegen die Apartheid, die nach dem Wahlsieg der National Party vom 26. Mai 1948 in Gesetze gegossen wurde.

Damit beschäftigt sich die gigantische Ausstellung "Aufstieg und Fall der Apartheid: Fotografie und Bürokratie des täglichen Lebens" im Münchner Haus der Kunst. Auf 2000 Quadratmetern versammelt die Schau rund 500 Fotografien. Videos, etwa von William Kentridge, Arbeiten von Adrian Piper oder Hans Haacke geben Einblicke in den inneren Raum einer künstlich gespaltenen Gesellschaft.

Es ist nicht ausschließlich ein Kaleidoskop des Grauens, was die Bilder und Dokumente vorführen. Und das intensiviert das Projekt. Vielmehr zeigt sich das erschreckende Ausmaß der Menschenverachtung oftmals in den Alltäglichkeiten. Gisele Wulfsohn, eine südafrikanische Fotografin, die von 1957 bis 2011 lebte, fotografierte 1986 eine weiße Mutter mit drei Kindern am Strand. Dazwischen steht eine schwarze Haushälterin mit verschränkten Armen und schaut aufs Meer. Die hübsche, braungebrannte Frau lächelt ihre Bedienstete an. Während die Weißen auf dem Bild allesamt als Individuen erkennbar sind, deutet nichts Individuelles auf die Identität der Bediensteten hin. Nur die Kleidung verrät ihren niederen Stand in der ungerechten Gesellschaft.

Das ist eine Bildsprache, die trotz aller Subtilität nicht deutlicher sein könnte. Schadeberg, Jahrgang 1931, arbeitete lange bei "Drum", einer Illustrierten von Weißen für schwarze Südafrikaner, die von einem englischen Abenteurer gegründet wurde und den Idealismus besaß, die Apartheid als das zu zeigen, was sie war: der Ausdruck eines faschistischen Regimes von Menschenverächtern. "Bis 'Drum' kam, gab es in Südafrika keine Illustrierten", erzählt der Fotograf, der mit der Leica bis heute seine Gegenwart ablichtet. Eine richtige Bezahlung gab es damals auch nicht, und die Druckqualität war miserabel. Über seine Kleinbildkamera hat man sich damals lustig gemacht. Die Kollegen von den afrikanischen Tageszeitungen waren noch mit Großformaten unterwegs.

Die Parteinahme für die Ausgeschlossenen in mutigen Reportagen, aber auch mittels Porträts über Kulturschaffende wie die große Sängerin Miriam Makeba, machten Schadeberg verdächtig. "Die Special Police war 1964 hinter mir her, so dass ich wieder auswanderte – selbst wenn Deutsche eigentlich mit Vorsicht behandelt wurden. Aber ich bin ihnen zuvor gekommen." Schadeberg blieb schließlich 20 Jahre fort und fotografierte unter anderem viel für das "Zeit Magazin".

Als er 1985 wieder zurückkam drehte er mit seiner Frau für die BBC Filme. Ob er denn 1990 glücklich war, als endlich das Ende der Apartheid verkündet wurde? "Wir waren so dumm", wertet er heute seine Freude. "Wir träumten uns die Rainbow-Nation, doch die Wirklichkeit sah bald schon anders aus." Auch vom Bürgerkrieg zeugt die Ausstellung, von den blutigen Rivalitäten zwischen dem ANC und der Inkartha Freedom Party (IFP).

Gezeigt werden nicht nur die Videos vom Nelson Mandela Freedom Concert, sondern auch die aufsehenerregende Rede von Präsident Frederik Willem de Klerk im Jahr 1990, als er den schwarzen Politiker begnadigte. Der "Bang Bang Club" um die Fotografen Kevin Carter, Greg Marinovich, Ken Osterbroek und João Silva dokumentierte die schweren Unruhen zwischen 1990 und 1994 in den Townships. Ein anderer Altmeister und ehemaliger Assistent Schadebergs, Dr. Peter Magubane, ist trotz der von Schadeberg kritisch betrachteten Gegenwart sehr glücklich. Er, der mehrfach inhaftiert worden war und 586 Tage in Einzelhaft verbringen musste, sieht in der ruhigeren Situation heute nicht zuletzt die Früchte seiner Arbeit: "Ohne die Veröffentlichungen hätte die Welt das alles, was passiert ist, gar nicht wahrgenommen", versichert Magubane, der auch für das Time Magazine arbeitete. Schwierigkeiten, seine Bilder zu verkaufen, habe er jedenfalls nie gehabt.

Die Ausstellung zeigt weitgehend chronologisch die Geschichte der Apartheid. Dokumente belegen den hohen Grad an Öffentlichkeit, den das Thema schon früh hatte. Im Magazin "Look" berichtet Robert F. Kennedy von seinen Erlebnissen in Südafrika: "Ein Land mit großen Verheißungen und Potenzialen, Strebsamkeit und Errungenschaften, aber auch ein Land der Unterdrückung und Traurigkeit, der Dunkelheit und Grausamkeit."

Diese Ausstellung gehört zum Pflichtprogramm in diesem Frühjahr. Sie werden sich wieder erinnern, wenn sie Bilder wie Peter Magubanes "Das Grüne Auto" von 1976 sehen. Mit diesem Horrorwagen fuhr die Polizei an den Tagen des Aufstands durch Soweto und schoss willkürlich auf schwarze Passanten. Doch zunächst die Zeiten des friedlichen, an Mahatma Ghandi orientierten Widerstands, als das Leben der Schwarzen komplett durchbürokratisiert wurde. Passverbrennungen waren die Folge, doch der zivile Ungehorsam bewirkte nichts.

Die Schau zeigt das grausame Massaker von Sharpeville in den 60er-Jahren. Und sie zeigt die tümelnden Buren 1988 zum so genannten "Krügertag" in den Fotografien von Gideon Mendel. Das Blut gefriert einem in den Adern, wenn man diese Hakenkreuz-ähnliche Flagge sieht und das Grinsen des Mädchens, das sie aus dem Autofenster hält.

Okwui Enwezor, Direktor des Hauses, und sein Co-Kurator Rory Bester von der Wits School of Arts, Johannesburg, wollen mit der Ausstellung beweisen, dass das Jahr 1948 ein Schlüsseljahr für die südafrikanische Fotografie und Bildproduktion überhaupt gewesen sei. Es habe ein Wechsel der Funktionen und Themen stattgefunden. Stand in der Zeit vor der Apartheid ein eher ethnologisches Interesse im Vordergrund, wurden die Arbeiten zunehmend dokumentarischer, parteiischer und subjektiver. Das ist eine These, die man den Bildern ansieht. Man erkennt das Anliegen der in den 70er und 80er Jahren entstandenen Bild-Essays. Sie sind engagiert und emotional einfühlsam. Jedoch erscheint dies angesichts des generell humanistischen Ansatzes der Bildjournalisten ohnehin als selbstverständlich.

Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Aufstieg und Fall der Apartheid: Fotografie und Bürokratie des täglichen Lebens
15.02 - 26.05.2013

Haus der Kunst München
80538 München, Prinzregentenstrasse 1
Tel: +49 (0)89 21127-113, Fax: +49 (0)89 21127-157
Email: mail@hausderkunst.de
http://www.hausderkunst.de/
Öffnungszeiten: Mo – So 10.00 – 20.00, Do 10.00 – 22.00


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