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Kendell Geers 1989-2012: Eine Frage ins Nichts

Sehen mit dem Körper, mit der Haut, und spüren, wie sie schneidet, schmerzt, verletzt und tiefe Irritationen hinterlässt: Die Ausstellung mit Werken von Kendell Geers trifft unmittelbar. Im Münchner Haus der Kunst präsentiert der Künstler mit knapp über 80 Arbeiten eine Werkschau, die es in sich hat. Das beginnt schon beim Betreten des Aufgangs, der zu dem eigentlichen Flügel in der ersten Etage führt und als "Archiv" fungieren soll. In mehreren Vitrinen findet sich scheinbar Harmloses, Dokumentarisches sowie eine große Neon-Arbeit. Doch schon der genauere Blick belegt: Hier dröhnt dem Betrachter Form gewordene Verdrossenheit über eine Gesellschaft entgegen, die jahrzehntelang ihre schwarze Mehrheit auf das Widerlichste traktierte und heute immer noch nicht zu innerem Frieden gefunden hat: Südafrika. Geers, der sein Geburtsdatum kurzerhand auf 1968 justiert hat und der seinen Lebenslauf an der Wand des Archivs mit dem Datum der südafrikanischen Kolonialisierung, 6. April 1652, beginnen lässt, fragt mit leuchtenden Lettern, die in einer Spirale ohne Leerzeichen angeordnet sind, an was wir glauben: "What do you believe in?" Betitelt ist das Werk, das seine frustrierende Antwort gleich mitliefert, als "Manifest" (2007). Eine Frage ins Nichts als Programm. Konkreter wird Geers mit einer Vitrine, in der eine billige Latex-Maske mit dem Konterfei von Nelson Mandela neben einem Anorak in militärischen Tarnfarben liegt. Darüber ein Foto des Künstlers in eben jener Montur, wie er flohmarktmäßig am Straßenrand sitzt und scheinbar auf Kundschaft für seine folkloristische Ware aus Stammesmasken wartet. Die Ikone des Widerstands gegen die Apartheid wird zum Imago billigen Konsumerismus und Stellvertreter des kulturellen Ausverkaufs seines Landes. Derart eingestimmt, steigt der Besucher der auch körperlichen Erschütterung entgegen. Ganz gleich, ob es sich um die zum kreisförmig Ornamentalen erhobenen Schlagstöcke, eine Variante gar in venezianischem Murano-Glas, handelt, oder um diesen hohen Zaun mit Stacheldraht und Sandsäcken auf dem Boden: Geers ästhetisiert die Zeichen handgreiflicher Machtausübung, greifbarer Grenzziehungen. Ein "Mobile" mit zahllosen Ziegelsteinen formiert einen hängenden Garten aus quasi Widerstandswaffen ("Hanging Piece", 1993). Da will man nicht durchgehen. Und geradezu unheimlich atmen und schnaufen die zwölf virtuellen Gestalten, von Geers selbst verkörpert, in den TV Monitoren, die wenige Meter weiter auf Baugerüsten zu einem Labyrinth komponiert sind. "My Traitor's Heart" ("Das Herz meines Verräters") heißt das Werk von 1998. Was die Arbeiten gerade noch erträglich macht, ist die stetige Selbstreflexion und des Künstlers, wenn er sich etwa Blut überströmt im Kopfbild ("Blody Hell", 1990) ablichtet oder als "Fuck Face" mit schwarz-weißen Schriftzügen stilisiert. Oder sein "Selbstporträt" von 1995. Das ist nicht viel mehr als der abgeschlagene Hals einer Heineken-Bierflasche. Ein Verweis auf die niederländischen Wurzeln der Buren, die jenes Getränk mit Vorliebe importierten. Solch ein Flaschenhals ist gleichfalls eine Waffe. Die Schau ist in zwei Blöcke unterteilt. Nach Betreten des Hauptraums geht es links zu Arbeiten aus den Jahren von 1988 bis 2000. Der Jahrtausendwechsel markierte für Kendell Geers einen Wendpunkt. Er nahm sich eine Auszeit von einem Jahr und arbeitete von nun an nicht mehr so explizit politisch. Rechts betritt man Räume mit den Arbeiten nach jenem "Sabatical". Aus dem Jahr 2008 stammt "Postpunkpaganpop", eine riesige Installation, die den Betrachter das Schwindeln lehrt. Der Boden verspiegelt, betritt er ein Labyrinth aus Zäunen, die aus poliertem, scharfkantigen Stacheldraht bestehen, der hier zu Zäunen gebändigt und in ein Rautenmuster geglättet wurde. Ein mit Spitzbogen bewehrtes Tor bietet den Zutritt an. In den Nischen finden sich Spiegelarbeiten. Dann läuft man vor "TerroRealismus" (2003), der Rohbau einer Zelle, deren Außenwand mit Glasscherben gespickt ist. Die Neon-Schriftzüge an drei Wänden sagen "Terror", "Border" und "Anger". Man mag Geers bitteren Zynismus vorwerfen. Dafür fehlt allerdings jede Berechtigung. Denn der Künstler, der sich selbst als "ideologischen Bastard" bezeichnet, in einer weißen Arbeiterfamilie von Zeugen Jehovas aufgewachsen ist, lief mit 15 Jahren von zuhause fort und schloss sich der Anti-Apartheid-Bewegung an. Schwierig und vielleicht gar nicht nachzuvollziehen, wie es ist, wenn der Vater gewalttätiger Alkoholiker, Verwandte bei der Sicherheitspolizei arbeiten und man das Unrecht nicht aushält, das Tag für Tag vor Augen stand. Um dann zu sehen, dass nach dem Ende der Apartheid überall Zwist und Zerrissenheit herrschen. Die Ambivalenz allen politischen Agierens gegenüber, so kann man eigentlich nur mutmaßen, ist derart verinnerlicht, dass schlichte Parteinahme zur Unmöglichkeit wird. Wen wundert's dass er sich 1993 im Rahmen einer Arbeit bei allen sich zur Wahl stellenden Parteien einschrieb. Nicht ohne persönliche Gefährdung. Als er am 19. Juli 1993 sowohl dem African National Congress (ANC) als auch Inkatha Freedom Party (IFP) beitrat, liquidierte der ANC sieben Mitglieder der IFP. Insofern ist die Kunst von Kendell Geers einer Art bedingungsloser Einsatzbereitschaft geprägt. Doch wem gilt diese? Dem Humanismus? Noch am ehesten. Es ist Geers Stärke, gleichsam engagiert über den Wassern zu schweben. Das sind Stücke von einem, der sich für nichts vereinnahmen lässt. Diese Haltlosigkeit lässt er den Betrachter an jedem Eck und Ende spüren. Das relativiert außerdem die teils überdeutliche Materialsprache. Bisweilen geht es eben nicht ohne Schlagstöcke und Stacheldraht.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Kendell Geers 1989-2012
01.02 - 12.05.2013

Haus der Kunst München
80538 München, Prinzregentenstrasse 1
Tel: +49 (0)89 21127-113, Fax: +49 (0)89 21127-157
Email: mail@hausderkunst.de
http://www.hausderkunst.de/
Öffnungszeiten: Mo – So 10.00 – 20.00, Do 10.00 – 22.00


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