Werbung
,

Zu viel ist nicht genug

Die Haupt-, Leit- und Staatsmesse Art Basel Miami Beach, örtlich nur Art Basel genannt, ist überraschungslos gediegen, findet aber regeren Zuspruch denn je, will man meinen. Immerhin ist BMW mit vier Art Cars da, mit den ersten drei im gegenüberliegenden Botanischen Garten und dem neuesten von Jenny Holzer in der Collectors Lounge, da wo das Fussvolk draussen zu bleiben hat. Hier kümmern sich die Sponsoren um die VIPs, die, die die Autos vor der Halle geparkt haben. Realfolge: Ferrari, Mercedes S550, Porsche Panamera S, Panamera 4S, Mercedes E350, Porsche Carrera 4 GTS, Aston Martin Rapide, BMW X5, Mercedes S550. Man darf sich davon aber nicht täuschen lassen, die hat`s auch bei den unzähligen Nebenmessen, nur versteckter in den Seitenstrassen. Die Sammler hier sind wieder voll auf dem Kunsttrip, vor allem die aus Mittel- und Südamerika, die den teilweisen Wegfall der Europäer mehr als nur wettmachen. Die Europäer gehen auf die (stinklangweiligen) Parties, von denen es wieder endlos viele gibt, die Amerikaner, Mexikaner, Kolumbianer, Peru- und andere "Aner" kaufen, bei Brasilien mit einigen Abstrichen, wie das Art Newspaper feststellte. Die Nebenmessen partizipieren am Boom, wobei die Art Miami ja eher die zweite Hauptmesse darstellt. Die älteste Kunstmesse der Region sieht in weiten Teilen so aus wie die Art Basel zu ihren allerbesten Zeiten, hat teilnehmende Galerien, bei denen man sich fragt, warum sie nicht auf der Art Basel sind, was auch bedeutet, das man sich auf der Leitmesse fragen lassen muss, was denn einige der Aussteller hier überhaupt zu suchen haben. Na, um so besser für die Art Miami, die, so Wilhelm Grusdat (Galerie Terminus, München), "jedes Jahr besser wird". Die Art Miami hat sich unter Nick Korniloff zu einer international bedeutenden Adresse entwickelt. Wer da ausstellt, braucht Basel am Beach nicht, zumal die Messe jetzt mit der "Context" eine "Emerging art"-Abteilung hat. Auf dieser stellte der Landesverband Berliner Galerien "Art from Berlin" vor, und das durchaus mit Erfolg. Hingucker auf der Context: Jiha Moon aus Korea bei Curator's Office (Washington, DC), Emilio García mit seiner "Skull Brain"-Serie (Black Square Gallery, Miami) und, aus Berlin Kuckei+Kuckei mit einem Foto-Triptychon von Barbara Probst mit New Yorker Strassenszenen (Washington und Watts St) und einer Frau in leuchtend grünem Mantel. Die Art Miami war mit einer Sonderschau mit Banksy-Werken durchsetzt, aus einer privaten Sammlung. Die Messe ist sehr gross geworden, aber, so Chef Nick Korniloff, "die Leute mögen es". In Miami und Miami Beach heisst es eben "zu viel ist nicht genug". Die Art Miami hat soeben die Aqua gekauft, will sie aber als eigene Messe weiterführen. Das soll Synergien schaffen und noch intensivere Kontakte zu den Sammlern auch in Miami Beach. Christa Schuebbe (Düsseldorf) hatte mit der Gruppe Spur (u.a. Helmut Sturm) einen Knaller. In Deutschland verkannt "gehen die Sammler hier auf Qualität." Und kaufen. Gekauft wurde auch bei Michael Schultz (Berlin, Peking, Seoul), nämlich unter anderem das wahrscheinlich teuerste Werk der Messe, ein großes abstraktes Werk von Gerhard Richter für 11,5 Mio. Dollar. Dazu drei Andy Denzler, eine Sabina Sakoh, zwei große Hundebilder von SEO und so fort. Erfolgreicher Neuzugang bei Schultz: die expressiv-figurative Monika Sigloch. Mutig manche wie Bernd Lausberg (Toronto, Düsseldorf, Miami), der nur Skulpturen von Herbert Mehler (um 20 bis 36.000 Dollar) und Gemälde von Udo Nöger hatte (bis 45.000 Dollar) und auch in Sammlungen unterbrachte. Immer auf hohen Niveau und mit Erfolg agiert die Pulse (mit junger Abteilung Impulse). Hier zeigten sich konzentriert die Trends, die auch anderenorts bemerkbar waren: Viel Textbilder, viel Kleinplastik, viel Gewalt, leider auch unverfrorene Plagiate, viele zitierte und kontrafakturierte Klassiker und das Eindringen der Computerspielästhetik in die Kunst. Lucky Thief zeigte bei Jonas Kleerup (Stockholm) seine farbig gefassten Kleinplastiken (um durchschnittlich 4000 Dollar), Nadine Wottke sorgt für die Wiederbelebung der Porzellanfigur (bei Widmer & Theodoridis aus Zürich), Ähnliches gab es von Oleg Dou bei Senda, Barcelona. Wittenbrink (München), selten auf Messen, feierte Erfolge mit den neo-urbanen Strand- und Straßenbildern nach alten Postkartenvorlagen von Florian Thomas und Hilger Contemporary (Wien), der jetzt auch Shepherd Fairey im Programm hat, begeisterte mit einer Videoprojektion von Fischen in einen Wasserbehälter von Angel Marcos. Gerade dass die Fische Projektion sind, ermöglicht hier ästhetisches Erleben. Es gibt einige neue Messen in Miami und am Beach, und manche können begeistern. Etwa die "Untitled" in Miami Beach am Ocean Drive und 12. Strasse, ein lichtdurchflutetes Zelt am Strand. Die Schau war häufiges Gesprächsthema, zu Recht. Hohe Qualität, nichts Verschmocktes, angenehmes Ambiente. Und die lokale Tourismusbehörde rührt die Werbetrommel: "It's so Miami!" Starker Spruch. Die Galerie Des Pacio aus San José in Costa Rica beeindruckte mit skulpturalen, auch melancholischen Objekten von Andres Carranza, etwa Helmen mit dem Gesicht als Visier; DNA aus New York mit Textfigurationen von Eric Denbreejen, bei denen Buchstaben aus Liedtexten etwa die Gestalt von Neil Young ergeben (zwischen 6000 und 14000 Dollar), The Pool aus New York legte dar, wenn auch unabsichtlich, dass jede Generation über ähnliche Probleme neu nachdenkt. Hier sah man, durch ein Guckglas, gebaute Naturdioramen (um 10-13000 Dollar) von Patrick Jacobs, die über 33 Jahre hinweg eine Brücke zur Nature Peep Show von Michael Burges auf der Bundesgartenschau in Bonn schlagen. Einen starken Aufritt hatte auch die Galerie Thomas Jaeckel aus New York (auch auf der Context vertreten) mit den New Painterly Images von Ian Hughes. Lastly but not priest (John Lennon) muss Stefan Koal erwähnt werden, mit einer klar strukturierten, aber dennoch in sich variierenden Wandzeichnung von Arne Schreiber und einem starken Objekt von Katinka Pilscheur ("YSL"), das aus Holz und Nagellack gemacht ist. Eine Messe mit guten Chancen und eine Bereicherung der Szene. Die alteingesessene Cutting-edge-Messe NADA hingegen, die jüngst auf der Art Cologne mit zwiespältigem Eindruck gastierte, erwies sich als gepflegt und pseudokreativ langweilig. Man sah viel Zeugs, das man aus gutem Grund nirgends anders sieht. Gut, Lethert (Köln) war mit Imi Knoebel da - aber kommt man deswegen zur NADA? Kaum. Lichtblick: Ambach &Rice aus Los Angeles mit den kleinformatigen Genre-/Konversations-Stücken von Nikki Katsikas mit einem Schuss gewollter Naivität (um 1600 Dollar). Total verzichtbar erscheint die artexpo+[SOLO] gegenüber der Art Miami. Dann und wann hat`s da einen weissen Elefanten, sprich Kunst, aber gut 99 Prozent ist Deko-Müll, Kunst für Menschen, die Kunst nicht mögen. Das neue Miami Project hingegen, auch Gesprächsthema, hat Chancen. Eine fast ausschliesslich amerikanische Angelegenheit (noch?), macht die Schau einen sehr guten Eindruck. Das Spektrum reicht von früher Nachkriegskunst, etwa Milton Avery (bei Mark Borghi Fine Arts, New York), zu zeitgenössischen Bildfindungen mit hoher Malkultur und existenzieller Melancholie, etwa Paul Fennick bei der New Yorker Forum Gallery. Fennick ist ein Seelenverwandter von Pavel Feinstein. Der einzige Nichtamerikaner auf dem Miami Project war Kai Heinze aus Berlin, der kommerziell erfolgreich war und unter anderem ein Wandrelief von Bruce Brosnan um 12000 Dollar verkaufte. Schliesslich wäre noch die Scope zu erwähnen, die endgültig aus der Pubertät ist. Das zeigen Angebote wie Tony Cragg und Jan Fabre bei Mario Mauroner (Salzburg und Wien), oder auch Evol (früher bei Wilde, Berlin), der jetzt bei Waterhouse and Dodd (NY) zu finden ist – und sich auch da gut verkauft. Erfolg auch für Norman Mooney und seine "Sun"-Objekte aus Aluminium und poliertem Edelstahl. Die parallel stattfindende Art Asia hingegen steckt noch immer zu tief im Sumpf des Dekorativen. Das ist bei der Aqua ganz anders. Sie ist ruppig, aber ehrlich, weiterhin überaus zukunftsträchtig, zeigt eine gute Entwicklung und ist mit sehr scharfer Cutting-edge ausgestattet. Lyons Wier aus New York hatte eine Solo Show mit dem temperamentvollen Greg Haberny, der stets aus Neue zu begeistern vermag (war auch schon auf der Blooom in Köln mit Yasha Youngs Strychnin Gallery). Hoffentlich entwickelt sie sich im Verbund mit der Art Miami kräftig weiter.
Mehr Texte von Gerhard Charles Rump †

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: