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zeichen >< sprache: Das Gewissen der Worte

Die Entzifferung der Hieroglyphen entpuppte sich bald als perfekte Dialektik der Aufklärung. Nicht nur weil die seltsamen Vögel und Häuschen nunmehr ihr Geheimnis verloren hatten, mischte sich in die Erleichterung auch etliche Enttäuschung, sondern speziell deswegen, weil man erkannte, dass sie niemals mysteriös waren. Die Hieroglyphen bildeten eine Lautschrift; man musste nicht ahnen, sondern konnte sie lesen. Dass Bilder sich in aller Eindeutigkeit verstehen lassen, wenn man nur weiß, wie sie funktionieren, ist für die Moderne ein Skandalon geblieben. Bilder sind Zeichen und wer über den Code verfügt, kann sie dechiffrieren, lautet das Basiswissen aller Semiotik. Bilder sind Kunst und bedürfen der Interpretation, lautet wiederum das Basiswissen aller Ästhetik. So fechten die Disziplinen ihre Zuständigkeiten aus für das Stoppschild an der Kreuzung und die Abstraktion über der Wohnzimmercouch. \"Zeichen >< Sprache\" nennt Grita Insam ihre obligatorische Weihnachstaccrochage und macht dank der beiden Pfeile, die im Kontext von Geschriebenem ungewöhnlich sind, aus dem konkreten Wort ein diskretes Ding. Derart oszillierend sollen auch die Arbeiten wirken, die sich zu einer Ausstellung fügen, deren Konsistenz darin besteht, dass alles Gezeigte zur Tradition der Conceptual Art gehört. Die dampfenden Schlote in Sabina Hörtners schöner Fotofolge senden \"Rauchzeichen\" aus, weil der Titel ihnen buchstäblich Signifikanz verleiht. Ken Lum kombiniert das Wurstlogo einer Selchereifabrik mit dem sehr dezidierten Schriftzug \"Ich hab die Nase voll\". Werner Kaligofsky nimmt neun Fotos aus dem Jahr 1940, auf denen sich französische Soldaten zu den Lettern von \"Vive Pétain\" aufstellen, um sogleich auseinanderzulaufen und die prekäre Botschaft ungeschehen zu machen. In das Informel von Hans Staudacher haben sich schließlich ihrerseits Buchstaben geschlichen, Bereiche von Lesbarkeit im Allüberall des Überzugs. Fast alles funktioniert als Text-Bild-Kombination. Das ist nicht neu, aber durchaus gut zusammengestellt. Und Art & Language, die Stammväter, sind auch dabei. Ihr Gruppenname ist nicht weniger als das Motto.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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zeichen >< sprache
20.11.2002 - 21.01.2003

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