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Mona Hatoum - Projecció : Projektionen und Reflexionen des fragilen Weltzustands

Für ihr aussergewöhnliches Talent, "Kunst mit universellen Werten und Fragestellungen zu harmonisieren", wurde die palästinensisch-libanesische Künstlerin Mona Hatoum einstimmig von der Jury des alle zwei Jahre verliehenen "Joan Miro Prize" für Zeitgenössische Kunst des Jahres 2011, ausgezeichnet. Der Laureatin gelingt es - indem sie uns hintergründig mit uns selbst und unserer modernen Gesellschaft konfrontiert - auf vielfältige Art immer wieder zu überraschen, wie auch in der anlässlich der Preisverleihung eröffneten Schau. Die Ausstellung "Projecció" - in der vom Architekten Josep Lluis Sert entworfenen, landschaftlich ruhig am Montjuic mit Blick über Barcelonas pulsierender Urbanität gelegenen Fundació Joan Miro -, exploriert entschlossen, ein vages und zunehmendes Unwohlsein am Zustand der heutigen Welt. Durch den Erzählstrang und die Werke öffnen Kuratorin und Künstlerin eine Büchse der Pandora an wichtigen Reflexionen zu konfliktuellen Themen wie Krieg, Kontrolle, Exil, (Un-)Freiheit, potentieller Zerstörung und Aufbau, Tod oder Leben. Die Kontemplation der Werke von Mona Hatoum, ist ein Eintauchen in eine minimalistische Welt, das eine Reflexion auf mehreren Ebenen bedeutet. Arbeiten die den Betrachter zwar führen und auf ein Thema fokussieren, aber eindrucksvoll Umberto Eco's "offene Kunstwerke" versinnbildlichen und ihn in seiner Lesart letztendlich suchend auf sich selbst zurückwerfen. Zentrales künstlerisches und ästhetisches Anliegen ist denn auch die physikalische und sensomotorische Auswirkung auf die Psyche des Betrachters, zielt dieser Ansatz doch auf Hatoums Absicht eine emotionale und psychologisch-individuelle Reaktion bei den diversen Zielgruppen hervorzurufen. "Ich wünsche dass meine Arbeit, zunächst die Sinne und erst dann auch den Verstand herausfordern, weil die erste Erfahrung mit einem Kunstwerk physisch ist. Konnotationen, Bedeutungen, Konzepte und Assoziationen, kommen erst nach der originalen ersten physischen Erfahrung, die dann mit der Psyche auf theoretischer Ebene fusioniert", so Mona Hatoum im Gespräch in der ihr eigenen akademischen und freundlichen Seriosität. In ihren Werken nutzt Hatoum eine breite Palette von einfachen Materialien, die zwar harmonisch kombiniert werden, doch immer wieder verstörende Assoziationen evozieren, wie etwa vertraute Objekte, die durch Veränderung des Maßstabs mentale Metamorphosen generieren und so zu einer komplexen psychischen Herausforderung mutieren - so verführerisch wie gefährlich zugleich. Sie schaffen Ambivalenz, eine konstante Spannung zwischen Begriffen wie Wahrheit und Lüge, des Selbst, des "anders" Sein, des Todes, sowie von Realität, Fiktion und Erinnerung. Dies impliziert einen kritischen Umgang mit offiziellen (gesellschaftspolitischen) "Wahrheiten", wie auch einen interdisziplinären Ansatz in der Verwendung der Begriffe aus verschiedenen Bereichen des Denkens (Politik, Ästhetik, Psychologie, Soziologie, Anthropologie ...) und der damit zusammenhängenden Historiographie, sowie die Arbeit mit verschiedenen visuellen Medien (Installation , Skulptur, Video und Fotografie, ...). Die Installation "web" (2006-2007), welche den Rundgang eröffnet, ist eine hängende Konfiguration von Kristallkugeln diverser Größen die ins Auge stechen, ein zunächst poetischer wie harmloser Blick auf die Ewigkeit und die Welt. Die unerwartete Präsenz eines Spinnennetzes stellt subtil die Erkenntnis unserer permanent bedrohten Autonomie durch die Gefangenschaft in undurchsichtigen gesellschaftlichen Herrschaftssystemen dar, personifiziert in der Gestalt der Arachné. Das Spinnennetz mag hier für Täuschung und paradoxe Lektüren - zwischen Unsichtbarkeit und Macht, Vertrautheit versus Fremdheit, Faszination versus Ablehnung - stehen. Gleich einer Spinne, webte auch Mona Hatoum für die Installation - "Untitled (hair grid with knots)", 2001 / "Untitled (grey hair grid with knots)", 2001, selbst und buchstäblich aus den Rückständen des eigenen Körpers zwei quadratische Knoten aus grauen und schwarzen ausgefallenen Haaren, die normalerweise auf Oberflächen, auf denen sie sich befinden schnellstens eliminiert werden. Während diese Gewebe Spinnennetze evozieren, suggerieren die minimale Form und Struktur aber eher die Passage von Garn zu Stoff, von kleiner Einheit zum grossen Ensemble, oder auch des Natürlichem zum Künstlichem. Dichtes Haar als Teil des Körpers der hoch erotisierten Frau, wirkt als ausgefallenes Haar eher abstoßend. Widerwillig markiert die Passage vom schwarzem zum grauen Haar die Fugazität und Zerfall. Durch den Einsatz der Haare erinnert Hatoum weiter an Fragilität und Vulnerabilität des Körpers. "Suspended", 2011, nimmt den nächsten Raum der Show ein. 35 Schaukeln hängen an Stahlketten von der Decke. Jede ist rot laminiert, und hat Pläne von großen globalen Städten eingraviert. Sie symbolisieren die ständigen Pendelbewegungen der Emigrantenströme dieser Welt. Eine ähnliche Installation war bereits im Sommer 2011 in der Ausstellung "Beirut" in Wien zu sehen, bei der 2 Schaukeln die geteilte Stadt darstellten in ihrem fragilem erschütterungsgefährdeten Gleichgewicht. "Hanging Garden", 2008, eine massive Skulptur, fand im mit Oliven bestandenem Hof der Fundació Joan Miro ihren Ort. Ein Schutzwall aus Jutesäcken, identisch mit denen in Kriegsgebieten, wurde mit Samen verschiedener Pflanzen bestreut die keimen und deren Wachstum das Jute-Gewebe durchstößt, mit Tausenden von zarten grünen Trieben der Gräser. Eine wachsende, sich verändernde Skulptur die auf die "Hängenden Gärten von Babylon" und somit die Situation des Irak anspielt und eine ambivalente Spannung erzeugt. Diese Figur, als eindringliche visuelle Polysemie, verbindet Zerstörung und Tod mit der Hoffnung auf neues Lebens und Wiedergeburt in einer hostilen Umgebung. Auch diese Projekt wurde bereits neben dem Kunsthalle Wien project space gezeigt. Eine weitere Arbeit "Bunker", 2011, stellt eine seltsame urbane Landschaft dar, eine "Stadt" aus modularem Stahl, wie er in der Bauindustrie verwendet wird. Dieser wurde durch Schneiden und Brennen von der Künstlerin zu einer apokalyptischen Szenerie geformt, als Referenz an die Stadt ihrer Jugend, die durch Krieg zerrissene und verwüstete libanesische Metropole Beirut, insbesondere in Bezug auf das Gebäude des "Holiday Inn", das als 100m hohe Ruine - infolge Streitigkeiten - noch immer die teuren Innenstadtquartiere überragt. Es ist ein unfreiwilliges Symbol des Bürgerkriegs und der Hoffnungen der utopischen Moderne, die mit der dystopischen Realität kontrastieren und referiert allegorisch nicht nur auf die physischen, sondern auch die Verletzungen der kollektiven Psyche der Stadtbewohner. Eine ähnliche Dialektik wird auch in "3-D Cities", 2008-2009, erprobt. Gedruckte Karten von Beirut, Bagdad und Kabul liegen auf drei Tischen. Zirkuläre Sektoren der Karten wurden säuberlich ausgeschnitten, Stellen die zu kleinen Kuppeln als Zeichen für Aufbau, oder zu Vertiefungen als Zeichen nachhaltiger Zerstörungen geformt und gedeutet werden können. In "+ und -", 1994-2004, markiert in unaufhörlicher Bewegung ein motorisierter Arm die Oberfläche eines riesigen runden Sandkasten um sie sogleich wieder zu transformieren. Diese Dialektik zwischen Positivem und Negativem dient als Metapher für den zirkulären und paradoxen Zustand des Aufbaus und Zerstörung, des Lebens oder Todes. In "Nature morte aux grenades", 2006-2007, gelingt eine meisterhafte und kalte Fusion zwischen Form und Inhalt. Murano-Glas-Kugeln die auf einem Anatomietisch ausgebreitet sind, in verlockenden und leuchtenden Farben, die bei näherer Betrachtung seltsam an Handgranaten erinnern. "A Bigger Splash", 2009, ergänzt diesen Zynismus. Blutrotes Murano-Glas, wurde zu Trichtern geformt die wie eine Fotografie den Einschlag von Objekten auf die Erde festhalten - Regentropfen, oder doch Bomben? Beim fiktiven Aufprall des fragilem Materials auf dem hartem Boden der Fundació, vermag der Betrachter Bomben und Explosionen zu hören ... "Projection", 2006, zeigt die Kontinente in ihren geometrisch korrekten Proportionen anstelle der sonst gebräuchlichen, verzerrenden und suprematisitsch vergrösserten Darstellung von Westeuropa und Nordamerika. Die zarten Konturen aus handgeschöpftem Papier, die sich aus dem ozeanischem Gewässer erheben, machen die Gefahr des Versinkens in den Meeren deutlich, eine Projektion und Reflexion über die ungewisse Zukunft der Menschheit. "Globe", 2007, ist eine große Kugel, eingekastet in dicken Eisenstäben ähnlich eines mittelalterlichen Gefängnisses, hermetisch wird jeglicher Zuggang oder Flucht ausgeschlossen. Die gesamte Menschheit scheint gefangen zu sein. Der Globus im menschlichen Maßstab verweist wieder auf individuelle, körperliche und geistige Instabilität, die durch die Inklination im 23°-Winkel entsprechend der Rotationsachse des Planeten Erde noch erhöht wird. Es ist ein Objekt, das die Vision einer Welt als einen gefährlichen Ort verstärkt, gefangen in permanenten Konflikten. Als Kontrapunkt hier "Cube (9x9x9)", 2007, eine groß angelegte kubische Skulptur, subdividiert in kleinere Würfeleinheiten, scheinen sie auf den ersten Blick filigran und zerbrechlich. Aber diese scheinbare Zartheit erweist sich als eine Landschaft aus starren Stacheldraht Stäben, die unangenehme Konnotationen zur Realität vieler Menschen herstellt. Eine erschreckendes Symbol von Kriegen, Barrieren und Grenzen ... Um den zweiten Teil der Ausstellung zu besuchen, wird der Betrachter gezwungen "Every Door a Wall", 2003, einen durchsichtigen schleierartigen Vorhang zu durchschreiten, auf dem die erste Seite einer Zeitung mit der Berichterstattung über Grenzüberschreitungen von illegalen Einwanderern, gedruckt ist. Eine Reihe bizarrer Fotografien von Tierkadavern in einer skulpturalen Präsentation zeigen diesmal eine provokativ ästhetische Haltung der Künstlerin. Hatoum erklärt: "Heute ist es nicht so sehr die Fähigkeit des Fotografen, sondern die Implikationen die das Objektiv einzufangen sucht". Eines der provokantesten und beeindruckendsten Werke der Schau "Baid Ghanam (Jerusalem)", 1996, porträtiert den Hoden - Symbol der nicht (mehr) vorhandenen Manneskraft und Macht eines "unterwürfig-hilflosen" und dann geschlachteten Hammels -, aufgehängt an einer dünnen Membran im Schlachthof von "Jerusalem" ... Allegorie für Unterdrückung und Ohnmacht der oft patriarchal geprägten palästinensischen Bevölkerung, die zu Hoffnungslosigkeit und Akten der Verzweiflung führen? Die Blutgefäße des Hodens sehen aus wie winzige rote Flüsse, oder aber der Verlauf von in Jerusalem nicht unbekannten "Mauern" - Grenzen und geplante Zerrissenheit .., im Hintergrund die schattenhafte Gestalt eines nachdenklichen Mannes ... "Deep Thorat", 1996, Titel einer Videoinstallation, der möglicherweise zufällig aber provokativ Referenz an einen skurrilen Erotik-Klassiker der 70er Jahre erweist, zeigt in der Tradition der Body Art endoskopische Bilder des Inneren des Körpers der Künstlerin. Der Körper spielte schon immer eine wichtige Rolle im Werk von Mona Hatoum und die Problematik von äusseren Zwängen und Überwachung bis ins intimste (körperliche) Detail unseres Lebens ist ein weiteres wichtiges wiederkehrendes Thema in ihrem Werk. "Ich spiele mit dem Gedanken des allgegenwärtigen durchdringenden Blickes, der Überwachung und Kontrolle, dem Blick ins Innere der Organe. Es ist eine Dekonstruktion des Begriffs der gewohnten Körperlichkeit, bei der un-eingeladen in den Körper eingedrungen wird, aus der Perspektive einer extremen Verletzung", so Mona. In vielen dieser einzigartigen Skulpturen durchlaufen vertraute und alltägliche Gegenstände des täglichen Lebens eine Metamorphose - werden zu bedrohlichen oder geheimnisvollen Wesen. Diese Transformationen implizieren, dass die ganze Wirklichkeit gefährlich und feindselig, sowie konfliktreich und unsicher ist. In "Paravent", 2008, und "Daybed", 2008, mutieren Raspeln zu riesigen gefährlichen Möbeln, wo die kleinste unachtsame Berührung zu schwersten Verletzungen führen kann. Im gleichem Tenor die spektakulär aufs 17fache vergrösserte Gemüse-Mühle, "La grande broyeuse (Mouli-Julienne x 17)", 1999. Diese beeindruckende Stahlskulptur mit drei runden auf dem Boden liegenden auswechselbaren Klingen überwältigt den Betrachter. Disproportioniert und aus dem normalen Zusammenhang gerissen sprengt und verwirrt sie Wahrnehmungsmuster familiärer femininer Häuslichkeit und metamorphiert in etwas Kaltes und Brutales dem man nicht entrinnen kann, wie eine Figur aus der Unterwelt, bereit die Macht des Bösen auszuüben. Die minimalistische Sprache dieser Werke, kombiniert mit einem surrealen Sinn für Ironie, lässt das Publikum stark, sowohl emotional als auch intellektuell, reagieren. Die Ausstellung endet mit "You still here" 1994, einem Spiegel, auf dem die Sätze "Unwohlsein und Zynismus", aber auch "Hoffnung und Beharrlichkeit" eingeschrieben sind. Die Konfrontation zwischen Spiegelbild und den interferierenden Worten, soll so Mona Hatoum, als Bestätigung der Existenz und des Überlebens aufgefasst werden.
Mehr Texte von Bariaa Mourad

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Mona Hatoum - Projecció
22.06 - 24.09.2012

Fundació Joan Miró
08038 Barcelona, Parc de Montjuïc s/n
Tel: +34 934 439 470 , Fax: +34 933 298 609
http://www.fundaciomiro-bcn.org
Öffnungszeiten: Di-Sa 10-19, So, Feiertag 10-14.30 h


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