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Michael Schmidt - Berlin nach 45: Die verwundete Stadt

Als „bekanntester Unbekannter der deutschen Fotografie“ wurde er einmal beschrieben: Michael Schmidt, dem das New Yorker MoMA bereits 1996 eine Einzelausstellung widmete, war im deutschsprachigen Raum vor allem innerhalb der Fotokunst-Community bekannt. So scheint es zumindest, obwohl seine Aufnahmen auch in seinem Heimatland prominente Stationen wie das Folkwang Museum in Essen und das Sprengel Museum in Hannover durchlaufen haben. Eine umfassende Würdigung seines Werks kam erst 2010 mit der Retrospektive im Haus der Kunst in München. Hier konnte man die Bandbreite eines Schaffens überblicken, das von Porträts, über Stadtansichten und Landschaften bis hin zu Stillleben reicht. Die späte Anerkennung mag dabei durchaus mit der Arbeitsweise des Künstlers zusammenhängen. Denn Michael Schmidt erarbeitet seine Themen ausnahmslos in Serien, die er stets über einen langen Zeitraum hinweg entwickelt. Und er fotografiert nahezu immer in Schwarzweiß. Diesem Faktum begegnet er allerdings recht differenziert, wenn er von „Grau als Farbe“ und deren „tausend Abstufungen” spricht. Wer derzeit das Foyer der Arbeiterkammer Wien betritt, kann Schmidts Farbenlehre der besonderen Art nachvollziehen. Mit „Berlin nach 45“ fächert der 1945 geborene Autodidakt, der bis 1965 als Polizist arbeitete, sein gesamtes Spektrum an Graunuancen auf; wobei es schwer fällt, sich auf eben diese Qualität zu konzentrieren. Zu trostlos wirken die menschenleeren Aufnahmen von innerstädtischen Brachen, von Parkplätzen, gesichtslosen Straßenzügen und Gebäuden. Hier das Haus am Checkpoint Charlie, dort die 1945 zerbombte Kirche an der Stresemannstraße. Kein Lichtblick, überall nur desolate Spuren. Aber welches Berlin ist das „Berlin nach 45“ überhaupt? Der Begleittext führt in das Jahr 1980. Verglichen mit seinen anderen Serien hat Schmidt diesen Bildzyklus innerhalb kurzer Zeit geschaffen. Er zeigt eine Stadt, in welcher der Zweite Weltkrieg auch 35 Jahre nach dessen Ende allgegenwärtig ist. Und er zeigt die geteilte Stadt, wie wir sie uns nach dem Mauerfall nur noch anhand solcher fotografischen Dokumente in Erinnerung rufen können. Mit viel Gespür hat Schmidt sein Berlin-Porträt für die Arbeiterkammer als Wandtapete gestaltet, Bild an Bild gereiht, Durchgänge und Fenster des Gebäudes einzelne Ansichten durchtrennen lassen. Fragen mag man sich freilich, warum gerade diese tristen Bilder für einen Ort ausgewählt wurden, der vielfach von Menschen in prekären Lebenslagen aufgesucht wird. Gut, dass Kunst keinen Auftrag erfüllen muss.
Mehr Texte von Manisha Jothady

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Michael Schmidt - Berlin nach 45
24.05 - 30.10.2012

Arbeiterkammer Wien
1040 Wien, Prinz Eugenstraße 20-22
http://kultur.arbeiterkammer.at/


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