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Martin Dammann - Blind Spot: Kontrapunkt, keine Katharsis

In der Hauptsache werden in der Ausstellung von Martin Dammann großformatige Aquarelle gezeigt, doch bei der titelgebenden Arbeit „Blind spot“ handelt es sich um ein hervorragend kurzes Video im hintersten Raum, das für den Ausstellungsparcours eine rechte Kehrtwende bildet. Im Film sieht man in ein Schlafzimmer, ein netter älterer Herr kommt herein, schlägt behutsam das Federbett zurück, zieht seine Hosen gegen Beulen an den Knien hoch und setzt sich mit kooperativ freundlichem Gesichtsausdruck gegenüber der Kamera auf die Bettkante. Man hört eine Männerstimme danach fragen, ob der Mann ("Papa" angesprochen) eigentlich erinnere, warum Philipp damals so oft geheult habe - und "Papa" sagt freundlich, aber abschließend, nein, steht auf und geht aus dem Zimmer (ohne das Federbett wieder zu glätten). Das Ganze dauert 40 Sekunden und macht die Gewalt der älteren, ihr Beharren darauf, das Richtige getan und das Fragwürdige vergessen zu haben, präzis-lakonisch sichtbar. Danach wirken die Bilder anders. Der Familienalbumcharme, den die Szenen zuvor evoziert haben, kippt. Wer es richtig psycho haben will, fängt an, alle blinden Flecken im expressiven Pfützengestus der Wasserfarbverläufe gründlich zu verfolgen und sieht sich mit Anamorphosen (beispielsweise „Hanglage“ – wieviele Personen sind denn im Hang verschüttet?) und Unschärfen konfrontiert, die gruseln lassen können. Da entpuppt sich die Folge von 5 „Tänzchen“ – Bildern, in denen ein männlicher Erwachsener mit einem Kind in einem Zimmer Gesellschaftstanz übt – als Überschwemmung des kindlichen Körpers durch den des Erwachsenen. Die zuvor nur etwas verkrampft scheinende Komposition von „Jammertal“, in der das vorderste Mitglied einer familiären Gruppe von Spaziergängern am linken Bildrand wie mit Brett vorm Kopf in einen Baumstamm eingepfercht zu sein scheint, erhält auf einmal Zwangscharakter. Ein selbstzufriedenes Paar im Hintergrund dominiert das Bild – Dammann stellt die Figuren mit scharfen Strichen ins Licht, wohingegen die beiden vorderen Figuren sukzessive in den Schatten wandern. Mit beißendem Rosa unterlegt, wabert der Weg vor einem leicht schrägen Horizont in eine überbelichtet psychedelische Atmosphäre. Martin Dammann zeichnet seine Motive mit Bleistift vor. Auf dem Primfarbenspektrum basierend, werden durch gezielte Kontrast– und Schattensetzungen die Bewegungen der Körper, die Faltenwürfe der Bekleidung und selbst der Charakter des Spontan-aufgenommenen der fotografischen Vorlage souverän, geradezu unbekümmert herausgearbeitet. Der Wechsel von Schärfe zu Unschärfe, die Verspannung im Raum durch Licht und Schatten und die physische Plastizität der Figuren aus Farbpfützen sind meisterlich. Kein Familienzusammenhalt kommt vermutlich ohne Blinde Flecke aus: und darauf kann man sich vor Dammanns Bilder ganz hervorragend kontrazeptiv konzentrieren.
Mehr Texte von Gesche Heumann

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Martin Dammann - Blind Spot
29.06 - 08.09.2012

Galerie Georg Kargl
1040 Wien, Schleifmühlgasse 5
Tel: +43 1 585 41 99, Fax: +43 1 /585 41 99-9
Email: office@georgkargl.com
http://www.georgkargl.com
Öffnungszeiten: Mi-Fr 13-19
Sa 11-16h sowie nach Vereinbarung


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