Werbung
,

Wilder Raum: je müder man ist, desto wacher kann man sein

Die demokratische Gesellschaft von gewollten Gleichen umgibt sich mit Gesetzen, die erlauben und verbieten, sozusagen Stäbe des Käfigs gegen Leidenschaften bilden. Von der Kunst wird hingegen ungezähmte Authentizität erwartet. Für die Kunst gibt es wiederum selbst Regeln, mithilfe derer sie positioniert und nahegebracht wird oder auch nicht. Die Sommerausstellung des Kunstraum NOE handelt von dem Bemühen einer Gruppe von acht KünstlerInnen, diese Regeln zu hinterfragen. 14 Tage vor der Eröffnung kamen alle Teilnehmer im Ausstellungsraum zusammen und blieben, um sich dem Raum und den Erwartungen an künstlerische Wildheit gemeinsam auszusetzen und daraus eine Ausstellung zu schaffen. „Wilder Raum“ erfrischt zunächst mit der Offenheit, in der die Positionen ohne Beschilderung miteinander kommunizieren und zugleich deutlich voneinander abgrenzen. Mehrheitlich ungegenständliche Zeichnungen schaffen einen gemeinsamen Bezug, von zwei Videoinstallationen (Iris Dittler, Josh Müller) und einem botanischen Experiment (Sissi Makovec) einmal abgesehen. Paul DeFlorian zeigt eine offene Mappe mit tastaturmässig gesetzten Kohlebalkenstrichen auf einem bemalten Tisch. Veronika Dirnhofer hat einem Spiegel die Erklärung der Menschenrechte eingraviert, diesen an einer viereckigen, rollbaren Holzkabine befestigt, an den anderen Seiten hängt eine Kopie eines Buchtitels (“Das Leben ist ungerecht“) und eine Tafel, auf der halb ausgewischt gefragt wird, worauf wir vertrauen können. Es stellt sich als schwierig heraus, die ganze Erklärung der Menschenrechte im eigenen Leib erscheinend zu entziffern. Barbara Eichhorn hat auf einem Papier in Tischplattengröße versucht, die Klänge im Raum in Bleistift-Tupfen zu übersetzen – das Papier wird zur Membran. Josh Müller hinterlässt eine Tatortszenerie mit Schlafsack, ausgedruckten Bildern und dem Video seiner Übernachtung im Kunstraum, und es kann schaden, wenn einem da das Sam Taylor-Wood-Video mit dem schlafenden David Beckham einfällt. Markus Taxacher hat eine große Wand so bearbeitet, dass sie aussieht, als sei an ihr etwas noch zu tun – an einer anderen Stelle ragt eine über Kopfhöhe befestigte dünne Drahtrute aus der Wand. Neben den ausdrücklich erschütterungsempfindlichen Ameisen mit blauem Zucker im Glasquader (Makovec) gibt es in einer senfgelb unterlegten Ecke noch ein weiteres Tier, einen Plüschpanther, der den überfüllten Arbeitstisch von Christian Schwarzwald bewacht. Umgeben von Kohlezeichnungen ist am anderen Ende ein Stuhl so an den Tisch geschraubt, dass der Anzug des Künstlers darauf drapiert oben an den Tisch genäht werden kann und unten noch die Schuhe wackeln lässt. Rilke schrieb für einen Panther: „Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe/so müd geworden dass ihn nichts mehr hält“. Kunst, die Regeln der Kunst, die Regeln fürs Abseits, für den Euro: alles kann ungeheuer müde machen. Und wenn die Müden fragen, woher die Müdigkeit kommt, werden sie noch müder. Trotzdem gilt: je müder man ist, desto wacher kann man sein.
Mehr Texte von Charles Nebelthau

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Wilder Raum
15.06 - 28.07.2012

Kunstraum Niederoesterreich
1010 Wien, Herrengasse 13
Tel: +43 1 90 42 111, Fax: +43 1 90 42 112
Email: office@kunstraum.net
http://www.kunstraum.net/de
Öffnungszeiten: Di-Fr 11-19, Sa 11-15 h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: