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Günter Fruhtrunk - Farbe Rhythmus Existenz: Ohne Limit

Das Comeback des Jahres? Günter Fruhtrunk, dem das Kunstmuseum Liechtenstein eine grandiose Werkschau widmet, war nach seinem Selbstmord im Jahre 1982 schlicht und einfach vergessen. Und die große Retrospektive in Berlin, Münster und München liegt nun auch schon wieder knapp zwei Jahrzehnte zurück. Jetzt aber ist die „angespannteste Totalpräsenz“ (Max Imdahl) seiner gegenstandsfreien Farb- und Formkonstellationen wieder oder zum ersten Mal überhaupt zu entdecken. Fruhtrunk, langjähriger Professor an der Akademie der bildenden Künste in München und eingefleischter Bach- und Messiaen-Enthusiast, führte ein Leben ohne Tempolimit, immer auf der Überholspur. Oder besser: Jede Spur war ihm, in Leben und Werk, automatisch Rennstrecke und Hochgeschwindigkeitstrasse; rauschhaft unterwegs war er nicht nur in seinem legendären Alfa Romeo Giulia mit den signalrot verdeckten Armaturen (und immer neuen, inoffiziellen Rekordfahrten auf der Autobahn München-Paris), sondern auch in musikalischen Exzessen auf Überschalllautstärke in seinem Rückzugsort in Périgny. Abgeklebt aber hat Günter Fruhtrunk nur seinen Tachometer. Ansonsten herrschte ihrer geometrischen Präzision zum Trotz der konzentriert gezogene Pinselstrich. Und war das Format allzu übermächtig bemessen, dann zog er sich oder ließ sich auf einem selbst gebauten Rollwägelchen über die recht ordentlich dimensionierten Paneele schieben. In mehr als 40 Gemälden und erstmals gezeigten kleinformatigen Mal- und Materialexperimenten wird ein Lebenswerk nachgezeichnet, das sich unendlich sensibel aus dem Vokabular der klassischen Moderne löst und im Gesamtzusammenhang des frühen Documenta-Projekts „Abstraktion als Weltsprache“ zusätzlich an Fahrt gewinnt. Anfang der 60er Jahre fand Fruhtrunks zu seiner einzigartigen Bildgestalt, die sich aus einer kaum zu bändigenden Energie speist: die verschärfte Rhythmisierung der Bildfläche in gewagten Versetzungen und Verschiebungen der Farbzonen – den Begriff Streifen lehnte Fruhtrunk entschieden ab -, eine wechselseitige Dynamisierung der bis zum Anschlag verdichteten Farbwerte im gesättigten All-Over. Vor dem Hintergrund seiner durch traumatische Kriegserfahrungen geprägten Biografie wagt er den kontrollierten Angriff auf das rigide Regelwerk einer totalitär erlebten Bildhoheit – von innen her, aus dem Bild heraus; seine perfekt abgezirkelten Farbflächen, energisch-energetisch aufgeladene Vektoren sind Aufruhr gegen einen verdächtig gewordenen Absolutismus. Fruhtrunk, das ist Regel, Maß und Brechung, oder: „Meine Bilder sind Sprung, Ruf, Ruhe und Spannung und zugleich Kritik daran“. Ab 1968 und seiner Teilnahme an der Documenta 4 „beruhigt“ sich der explosive Aufstand gegen die blutleeren Bildmuster der konkreten Kunst und deren gefallsüchtige Entwürfe aus dem Tapetenmusterbuch des Wirtschaftswunderlands Deutschland. Aber nur vermeintlich: An die Stelle der Bild gewordenen Rhythmik tritt die Reihung gewaltiger Flächen, die aber in feinfühlig modulierten Farbintervallen aufeinander treffen, horizontal, vertikal oder diagonal. In diesen subtil nuancierten Farbakkorden radikalisiert sich in unnachahmlicher Intensität eine mehrstimmige „Metrik des Lichts“ (so ein Bildtitel) und damit die dramaturgisch gebotene Abfolge von Schatten und Licht, von Zentrum und Peripherie, Bezogenheit und Ungebundenheit. Der Farbauftrag, die „Untermalung“ (Fruhtrunk), wird zusehends durchscheinender, eröffnet in gestisch vorgeführter Größe rätselvolle Räume einer unnennbaren Emotion, die als bestimmendes Signum des Spätwerks über Systemat und Struktur triumphiert. Wo vorher Perfektion, da jetzt Expression. Und alles scheint in die dunkel-verschatteten Abgründe von „Orpheus“ aus dem Sterbejahr 1982 einzutauchen. Dass allüberall musikalische Themen – und nicht nur in den Titeln – angeschlagen werden, trifft auf den „gesamten“ Fruhtrunk in besonderer Weise zu; in seinem Fall könnte man sogar von einer grundlegenden Gestimmtheit aus dem Geist der Musik sprechen. Die Kunst des Günter Fruhtrunk ist so gesehen eine Kunst der unübertroffenen Unmittelbarkeit und der unvermittelten Gegenwärtigkeit. Umso größer ist deshalb das Verdienst des Kunstmuseums Liechtenstein, dieses unerhört vitale Werk in einer wunderbar transparenten Präsentation als einen mächtigen Gesamtklang vor Augen zu führen, es erneut, aber überfällig in die aktuelle Diskussion zu bringen.
Mehr Texte von Stephan Maier †

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Günter Fruhtrunk - Farbe Rhythmus Existenz
25.05 - 02.09.2012

Kunstmuseum Liechtenstein
9490 Vaduz, Städtle 32
Tel: +42 3-235 03 00, Fax: +42 3-235 03 29
Email: mail@kunstmuseum.li
http://www.kunstmuseum.li
Öffnungszeiten: Di-So 10-17, Do 10-20 h


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