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The Armory Show: Ragnarök für die Armory?

Die Kunstmesse gerät unter Druck – Das Angebot war heuer eher mau Nun, vielleicht nagen ja Goin (Frieze) und Moin (Art Basel Miami Beach) wirklich an den Wurzeln von Yggdrasil (Armory Show). Hält man die Kipfler hübsch offen und die Wascheln aufgestellt, dann sieht und hört man Dinge, die, zusammengepackt, den Eindruck vermitteln, es herrsche unter den Kunstmessen mittlerweise ein ragnarökischer Vernichtungswettbewerb. Und das nicht nur in den USA, wo die Armory Show, gerade zu Ende gegangen, ein eher schwaches Bild bot. Die Zeitgenossen auf Pier 94 ergaben nur ein so-là-là-Bild ab, Pier 92 mit den etablierten Positionen hatte wenige Lichtblicke, ansonsten war diese Abteilung überdurchschnittlich enttäuschend. Das mag zum einen mit der hochkarätigen Art Show des Kunsthändlerverbandes ADAA in der Park Avenue Armory zu tun haben (Bericht folgt), wo sich viele der führenden Händler präsentierten, was sich heuer deutlicher als sonst auswirkte (an beiden Messen teilzunehmen ist ja auch echt kostspielig), das mag aber auch an dem voraussichtlichen AAA-Ereignis der erstmals stattfindenden New Yorker Frieze vom 4.-7. Mai liegen, auf das gestarrt wird wie das Kaninchen auf die Schlange. Die Situation wird von Experten so gesehen, dass sich die Kontrollfreaks eine Vormachtstellung verschaffen wollen, also die Messen, die den Markt nicht abbilden, sondern machen wollen, die per Zulassungsausschuss (der in der Regel aus selbst an der Messe beteiligten Galeristen besteht, was sie zu Gärtnerböcken macht) nur die ihnen genehme Kunst in die heiligen Hallen holen. Die Kunst, die ihre Kreise nicht stört. Die Armory arbeitet zwar auch so, aber dort ist man offener. Problematisch erscheint, dass der Veranstalter MMPI (gehört dem Kennedy-Clan, der mit der Art Chicago wenig Fortüne hatte) zwar Messen organisieren kann, aber „kalt“ technokratisch arbeitet, ohne Kunst-Herzblut. Die Frage stellt sich, ob das alles so gut ist, und wenn die alte Kunstmessen-Welt untergehen sollte, ob es in der neuen dann wieder mehr um die Kunst und weniger ums Investment-Portfolio geht. Skepsis ist da durchaus angebracht. Pier 92 war zwar nicht nur enttäuschend, aber es gab wenige Lichtblicke. Levy (Hamburg) war begeistert. Schon am zweiten Tag waren ein Dutzend Arbeiten verkauft (mit Preisen im oberen unteren und bis in den mittleren Bereich hinein). Werke von Hans Bellmer, Daniel Spoerri und Zeichnungen von Mel Ramos fanden Abnehmer. „Früher haben wir vorwiegend an europäische Besucher verkauft“ sagte Galerist Levy dem artmagazine.cc, „in diesem Jahr fast ausschließlich an Amerikaner. Ich sehe das als positives Zeichen.“ Ähnlich zufrieden (aber bei deutlich gehobenem Preisniveau) zeigte sich die Galerie Thomas (München). Silke Thomas: „Es ist wirklich gut angelaufen. New York ist wirklich ‚the place to be’, und wir konnten Arbeiten von Tom Wesselmann, Allan D’Arcangelo und Anselm Kiefer platzieren.“ Empfangen wurde man von einem Bronze-Unikat von Giacomo Manzù, „Double Face“. „Die Galerie“ (Frankfurt am Main) präsentierte dieses ungewöhnliche Werk; dazu ältere Klassiker wie Lucebert und neuere wie Volker Stelzmann. Da Fernando Botero heuer 80 wird (große Retrospektive bei Samuelis-Baumgarte in Bielefeld; eröffnet Ende März) gab es auch viel Botero zu sehen. Ansonsten sah man viel Dritte Liga, Altbackenes. Michael Schultz (Berlin) hob sich da ab. Er verkaufte ein großes Bild von Cornelia Schleime, deren internationale Reputation mit zunehmender Geschwindigkeit steigt, dazu die Leinwand „New York Post“ von Andy Warhol (1980er), Bilder des Schweizers Andy Denzler um 21.000 Dollar und weitere Werke. Man kann mit dem richtigen Angebot in Gotham City durchaus punkten. Da stellten auch Hirschl & Adler (New York) unter Beweis, die die vielleicht abenteuerlichsten Arbeiten der Messe zeigten. Der Outsider-artist James Edward Deedes (1908-87) hatte seinerzeit viele wundervoll poetisch-skurrile Zeichnungen verfertigt, alle auf Buchhaltungs-Unterlagen der Einrichtung, in der er lebte. Im Laufe der Zeit kam ein ganzes Album zusammen, das aber bei seinem Tod verloren ging. Jemand fand es im Müll und bewahrte es auf. So kam es schließlich in den Handel, und Hirschl & Adler konnten mehrere Blätter um je 16.000 Dollar verkaufen. Habent sua fata … Pier 94 war irritierend uninspiriert. Ja, natürlich, auch hier konnten die Händler und Galeristen mit dem entsprechenden Angebot hübsche Sümmchen lukrieren, aber in den kaum merklich aufgehübschten Räumlichkeiten brach man selten in Begeisterung aus. Das war früher öfter der Fall. Ein Stand fiel auf, weil die roten Punkte sich dort in bemerkenswerte Weise häuften: der von Damien Hirsts „Other Criteria“ (London). Und, obwohl man auch sonst Werke anderer Künstler dort beziehen kann, gab es auf dem Pier eine Solo-Show. Hirsts „All You Need is Love“ (das Schmetterlingsherz), dazu auch noch der berüchtigte, vielfach variierte Totenschädel als Siebdruck mit Diamantstaub verkaufte sich mehr als ein halbes Dutzend Mal um je 14.500 Dollar. Galeristen hassen Selbstvermarkter, aus durchsichtigen Gründen, aber gegen Hirst ist kein Kraut gewachsen. Und auch die Tefaf in Maastricht kennt mit dem führenden Schmuckkünstler Otto Jacob Selbstvermarkter. Vielleicht wird das ja auch einmal ein wichtiger Teil der dräuenden neuen Kunstwelt. Es gibt sie noch, die guten Dinge, die nicht einmal teuer sind. Katherine Mulherin aus Toronto hatte mit den Trompe-l-oeil-Bildern (gemalt im Postkartenformat) von Mike Bayne (ebenfalls Kanadier) einen Renner und einen Blickfang. Fast jeder Standbesucher glaubte, kleinformatige Fotos vor sich zu haben. Aber die 8000 Dollar pro Arbeit zahlt man für technisch fast mehr als perfekte Malerei. Beeindruckende Malerei gab es auch auf dem Stand von Eigen+Art (Leipzig, Berlin). Judy Lybke hatte sein Programm dabei, und dazu gehört auch Martin Eder. „Ou sont le Queues?“ hieß Eders Großformat, auf der eine provokante rothaarige Quasi-Odaliske mit Zöpfchen im weichen Pfühle liegend einen gigantischen schwarzgrüngelben, spechtartigen (?) Vogel auf einem Fuß balanciert. Von Fern ein Echo des Tuti Nameh … Heiter ist die Kunst meinte Schiller. Mit dem Klassiker hält es offenbar Devin Troy Strother (bei Richard Heller Gallery, Santa Monica, Ca, USA) der 297 Figürchen aus schwarzer Pappe geschnitten und mit wenigen, aber aussagekräftigen Farbakzenten (z. B. für die Augen) versehen hat, um sie auf eine Leinwand zukleben. „297 Niggas on Linen“ heißt das Werk, und vielleicht ist es gar so heiter dann doch nicht. Sicherlich mehr in diese Richtung gehen die „Zwei-Dollar-Schweine“ aus gefaltetem Papier von Daniel Knorr (Galerie nächst St Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Wien), die in einer Auflage von 5 als Dreiergruppe 10.000 Dollar kosteten. „Cool“ fand eine Besucherin aus der Bundesstadt Bonn die farbigen Acrylglaskästen von HC Berg (um 20.000 Dollar bei Forsblom, Helsinki) und begeisterte sich für „Good Night With Flowers“ von Ob (bei Kaikai Kiki, Tokio). Kaikai Kiki bringt Kunst in den Westen, die vielleicht als Vorbote einer asiatisierten zukünftigen Globalästhetik gelten mag. Buntmagisch noch immer Norbert Bisky bei Templon (Paris), und überbordend, skurril und leicht unheimlich die „Poupées Pascale“ aus Glas und diversen Materialien die als Varianten des Alter Ego der Künstlerin Pascale Marthine Tayou die Koje von Continua (San Gimigniano) bevölkerten und schon im Vorjahr ein Aufreger waren. Ansonsten: Viel Bekanntes, wenig Neues, viel anämisch Konzeptuelles, wenig Kunst mit Kraft und Saft. Viel Kuratorenkunst, glücklicherweise keine Häkeldeckchen. Viel Unverständliches, wenig richtig Gescheitertes. Ach, aber das macht die Kunst ja letztlich so spannend.
Mehr Texte von Gerhard Charles Rump †

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The Armory Show
08 - 11.03.2012

Armory Show
10019 New York, Piers 88 und 90
http://www.thearmoryshow.com


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