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TAL R - Mann über Bord: Trash. Pop. Poetry

Eine Reise (wert) ist sie in jedem Fall, die wild bewegte, überschäumend bunte und – ja! - verwegen inszenierte Werkschau von Tal R in der Galerie im Taxispalais in Innsbruck. Selbst als halbwegs distanzierter Betrachter kann, oder will man sich einfach nicht losreißen von den 250 Schaustücken, die der Künstler, Jahrgang 1967, in seiner berechtigt frühzeitigen Mid-Career Survey ausgeschüttet hat. Und man fühlt sich selbst als „Mann über Bord“, der unvermittelt über die Planken einer fest gefügten Weltanschauung gegangen ist, sieht sich unbedarft einer tsunamisch anbrausenden Monsterwelle wahnwitziger Phobien und Phantasien gegenüber und fast darunter begraben. Um im Bild zu bleiben: Tal R lässt sich und den Besucher eintauchen in die tiefsinnigen Gewässer der gegenstandlosen Welt, in der immer wieder gegenstandsbesetzte Fundstücke als Treibgut vorbei floaten. Denn das Abstrakte ist der Urgrund seiner Kunst, sein künstlerisches Weltenmeer: Marianen-Graben und Planschbecken zugleich. Daraus schälen sich mühelos die kuriosesten Splitter der ganz konkreten Alltagswelt heraus: In einer Art visuellem Overkill sind kluge Zitate aus der Kunstgeschichte, vermeintlich naive Zeichnungen (während seiner Grönlandreise mit Daniel Richter!), verschlüsselte Traumszenen, Notiz- und Denkzettel auf großformatigen Pinboards und konstruktive Skulpturen mit eindeutiger Male-, nicht Macho-Attitüde an- und übereinander gereiht. Zusammengehalten wird das Environment, thematisch und farblich locker gegliedert in sieben Insel-artigen Plattformen, durch das ebenso einzigartige Kunststück der Präsentation. Das aus dem dehn- und deutbaren Charakter der Werke als Mängelwesen heraus entwickelte Stellwand-System besteht aus jederzeit flexibel handhabbaren Raumteilern, delikaten Farb-Raum-Körpern mit überblickbarer Höhe. In der barrierefreien Aussicht darüber hinweg werden vorher nicht erkannte Zusammenhänge in der Werkentwicklung einsichtig. Und der andernorts überstrapazierte Begriff der Choreografie ist ausnahmsweise einmal zu Recht am Platz. Wie sich das einzelne Exponat über das grundlegende Prinzip der Collage, neudeutsch Mashup, und in einem erweiterten Sinn als Recycling-Objekt erschließt, so kann die gesamte Ausstellung als eine einzige Patchwork-Arbeit, als ganz und gar zeitgemäße Wunderkammer, in der es manchmal schon gehörig rumpelt, gesehen werden: Es ist dies die unerwartete Zusammenkunft des eigentlich Unerhört-Ungehörigen mit dem wieder ganz Anderen auf dem Seziertisch von Wahrnehmung und Wahnsinn. Ihren Höhepunkt erleben die sinnenfrohen Exerzitien in Trash, Pop und Poetry und einem durchgeknallten Phantastischen Realismus aber im Untergeschoss. In meisterhafter Manier künden die aktuellen Gemälde, mit extrem schnell trocknendem Hasenleim ausgeführt, von der Könnerschaft des Malers Tal R, aber auch von seinem kenntnisreichen Umgang mit der klassischen Moderne - von Munch und Matisse abwärts. Und dort ist auch diese eine, aus allen Nähten platzende Gruppierung von Skulpturen, die auf Teppich, Tisch und offenen Schränkchen, auf Stellagen und Abstellflächen so lässig – das Gegenteil von nachlässig! - präsentiert werden, dass man sich an der verschwenderisch ausgegossenen Überfülle des Gezeigten einfach nicht sattsehen kann oder will. Selbst Alberto Giacomettis „La jambe“, eine der Ikonen der existenzgebeutelten Nachkriegskunst, wird in der Interpretation als (ausgerissenes?) Beinchen eines überdimensionalen Spielzeugwunderlandbewohners in die unabsehbaren Weiten des Kosmos Tal R gebeamt: Als eines seiner „Toys“ für den geistigen Gebrauch.
Mehr Texte von Stephan Maier †

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TAL R - Mann über Bord
17.03 - 03.06.2012

Taxispalais Kunsthalle Tirol
6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Str. 45
Tel: +43 512 594 89 401
Email: info@taxispalais.at
http://www.taxispalais.art
Öffnungszeiten: Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr


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