Rainer Metzger,
F. X. Messerschmidt 1736-1783: Das Locken Laokoons
Wenn die deutschsprachigen Dichter und Denker die bedeutendste Ästhetik der Zeit vor 1800 zusammengestellt haben, so ist die Diskussion um die antike Laokoon-Gruppe ihr bedeutendster Streitfall. Laokoon leidet, so wurde konstatiert, aber er schreit nicht. Die grosse Debatte vollzog sich natürlich schriftlich.
Wenn der Laokoon-Streit überhaupt Widerhall in Bildern findet, so darf man an Franz Xaver Messerschmidt denken. Die nicht weniger als sensationelle Personale des Unteren Belvedere konzentriert sich ganz auf den Meister als Kopfmenschen, als den Gestalter jener Antlitze, in denen sich das Problem von Eindruck und Ausdruck verdichtet. Von den \"Charakterköpfen\", die Messerschmidts Pathognomie und seine Pathologie auf bis heute aufsehenerregende Weise vorführen, sind 49 seinerzeit beschrieben worden. Deren 45 gibt es jetzt im Belvedere.
Die Versammlung der Büsten, die sich allesamt vom kahlen Schädel des Künstlers ableiten, ist eine Galerie von Grimassen, von verzerrter Mimik und entgleisten Zügen. Der kauzig gewordene Skulpteur, der nach einer Tätigkeit am Hof Maria Theresias vergeblich auf eine Akademie-Professur gehofft hatte und nun in eine Art Exil nach Preßburg abgewandert war, arbeitet mit seinen Metall- und Gipsgüssen an einer persönlichen Obsession. \"Der Geist der Proportion\", so erzählt Friedrich Nicolai nach seinem Besuch bei Messerschmidt, \"sey neidisch auf ihn, daß er der Vollkommenheit der Kenntniß der Proportionen nahe käme\"; deswegen, so sei Messerschmidt überzeugt, würde er heimgesucht von dieser boshaften Macht; die Schmerzen, die sie ihm bereitete, würden gleichwohl in den Köpfen, an denen er unermüdlich arbeitete, zu Meisterwerken der Proportion gerinnen und dadurch diesen Geist letztlich bannen.
Wie beim Laokoon stimmen in den \"Charakterköpfen\" Innenleben und Oberfläche nicht mehr überein. Anders aber als beim Laokoon sucht Messerschmidt dem Martern nicht durch Glättung und Beruhigung ins Geschönte beizukommen, sondern durch die Übertreibung ins Groteske. Ein Eigenwert des Skulpturalen macht sich bemerkbar, eine zu dezidierte Symmetrie der Halsmuskeln, eine zu graphische Linearität der Lippenpartie, eine zu ornamentale Wellenbewegung des Stirnrunzelns. Der Wille zum Hässlichen agiert sich aus in materieller, medialer, gestalterischer Eigensinnigkeit. Darin ist Messerschmidt durch und durch modern.
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F. X. Messerschmidt 1736-1783
11.10.2002 - 09.02.2003
Unteres Belvedere
1030 Wien, Rennweg 6
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Öffnungszeiten: Täglich 10 bis 18 Uhr, Mittwoch 10 bis 21 Uhr
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