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Melancholie und Provokation - Das Egon Schiele-Projekt: Schiele und die Plasmapflaume

Der Frust, den man darüber empfinden kann, dass das Leben existiert, wird mit dem Wort Melancholie geadelt. Wer sich ärgert, dass am Leben gelitten werden muss, provoziert die anderen, die nicht leiden, damit sie auch leiden und der Ärger nicht allein bleibt. Man kann Egon Schiele nicht nachsagen, er habe keine furios melancholische Jugend gehabt. Viele Maler fangen früh mit ihrer Arbeitswut an, leben aber dann lange und nehmen eventuell später Korrekturen vor. Ob Schiele seine frühen, matschig-dumpfen Schollenlandschaften im Lauf eines erfolgreichen Malerlebens mit schnittig sonnigen Südlichtbildern konterkariert hätte, muss Spekulation bleiben. Dass er trotz aller Toiletten-und Schlafzimmerschmuckposter ein Selbst- und Frauenzeichner ist, der nichts auslässt, aber auch nichts Unnötiges zeichnet und so die Malerei vorwegnimmt und oft überflügelt, steht außer Frage. Das Leopold Museum widmet ihm mit der umfangreichen Schau „Melancholie und Provokation“ eine Arena, in der neben der kunsthistorischen Bezugnahme auf Schieles zeitgenössische Kollegen wie Feuerbach, Kokoschka und Max Oppenheimer in sechs deutlich voneinander abgesetzten Räumen Arbeiten später in Österreich geborener Künstlerinnen und Künstler gezeigt werden die mit dem Werk Schieles in Interaktion treten. Die Radikalität von Schieles Menschendarstellung findet in den Aktionsfotografien von Günther Brus und Rudolf Schwarzkogler ihr Echo. Philipp Gehmacher konzentriert sich in seinen im Doppel inszenierten Videoarbeiten auf körpersprachlich-expressive Melancholie. Das überall-Grau, auch auf Rollkästen mit Lüftungsschlitzen neben der größeren Arbeit in Gehmachers Raum könnte nach den satt weinrot und dunkelblau gestrichenen Schiele-in-seiner-Zeit-Räumen eine sanfte Erholung bieten, würde nicht von der Rauminszenierung von Claudia Bosse nebenan aus abgehängten Kopfhörern ständiges Geflüster brabbeln, das sich gleichfalls in die streng schwarz-weisse Anlage von Franz Graf einmischt. Der zitiert angenehm angezogen den Hure-Heilige-Topos jeglicher abendländischer Weibsverehrung und zeigt neben zwei großen Diptychen schwarzweiss-kopierte Madonnen hinter Glas und mit Schutzstyropor, bevor es bei Elke Krystufek männliche Oberkörper in allen Grundfarben zu bestaunen gibt. Im Gesicht eines ihrer Vielleicht-Jesus-Protagonisten veranstaltet sie ein Farbschweben, das Kokoschkas bulliges Selbstportrait lässig relativiert und beweist, dass ein guter Maler nicht immer das ganze Bild vollmalen sollte. Falls trotzdem Fragen zu Melancholie und Provokation offen bleiben, könnte man sich natürlich davon bekümmert fühlen, dass man Bilder von Maria Lassnig hier leider nicht gesehen hat. Aber wenn man sich vorstellt, was der Eindruck auf die Gäste aus aller Welt in Wien bleiben wird, wenn sie sehen, dass Egon Schiele das Geschlecht seines Modells gemalt hat wie eine weinrote Zwetschge – sollte man nicht annehmen dürfen, dass sie für immer von Schiele und Zwetschgenröster schwärmen werden?
Mehr Texte von Charles Nebelthau

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Melancholie und Provokation - Das Egon Schiele-Projekt
23.09.2011 - 30.01.2012

Leopold Museum
1070 Wien, Museumsquartier
Tel: +43 1 525 70-0, Fax: +43 1 525 70-1500
Email: leopoldmuseum@leopoldmuseum.org
http://www.leopoldmuseum.org
Öffnungszeiten: Mi-So 10-18 h


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