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Rechte auf der Waage: Strafrecht und Kunstfreiheit

Das artmagazine meldete jüngst die Verurteilung des ungarischen Künstlers Janos Sugar zu einer bedingten Haftstrafe von fünf Monaten für eine Sprayaktion an zwei privaten Kunstinstitutionen Budapests auf einer Fläche von 60 x 80 Zentimetern. Neben der Empörung über das offensichtlich exzessive Strafausmaß und der Einordnung des Geschehens in ein repressiver werdendes rechtspopulistisches System in Ungarn, stellte sich bei manchen Leser_innen die beliebte Reporterfrage, ob „so etwas“ denn auch „bei uns“ passieren könne. Gleich vorab die bittere Pille: Im Prinzip lautet die Antwort ohne Zweifel „Ja!“. Und die nächste schlechte Nachricht gleich dazu: Dies könnte genauso gut dann passieren, wenn alle Beteiligten anerkennen würden, dass es sich bei der Aktion um Kunst handle. „Aber die Kunstfreiheit!?“ hören wir all jene rufen, die sich mit ihrer Kunstpraxis durch eine vermeintliche Immunität in Form der Kunstfreiheitsgarantie unantastbar fühlen. Tatsächlich findet sich in §17a des österreichischen Staatsgrundgesetzes (STGG) der schöne, kurze Satz: „Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei.“ Noch dazu fehlt der Bestimmung, die erst 1982 das STGG aufgenommen wurde, ein sogenannter „Gesetzesvorbehalt“, wie er zum Beispiel für das Grundrecht der Meinungsfreiheit gilt, welches explizit nur „innerhalb der gesetzlichen Schranken“ besteht, ein Vorbehalt, der zum Beispiel die Regulierung von Medien durch den Staat in Form von Rundfunkkonzessionen möglich macht. Natürlich kann eine rechtlich derart herausgehobene Stellung wie die der Kunst nicht ohne Auswirkungen bleiben, doch gehen wir fehl in der Annahme, das der §17a STGG so etwas wie eine Schutzmantelmadonna darstellen würde, für deren Anrufung es genügt, nur laut und deutlich „Kunst“ zu rufen. Im historischen Kern erzeugen Grundrechte keinen individuellen rechtsfreien Raum, sondern schützen vor direkter staatlicher Praxis in Gesetzgebung und -vollziehung. Sie verunmöglichen staatliche Eingriffe wie Vorabzensur oder willkürliche Beschlagnahmen und sollen den Staat daran hindern, Gesetze zu erlassen, die den garantierten Rechten direkt zuwiderlaufen. So wäre also ein Gesetz, das künstlerisches Handeln generell mit Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren bedroht, eindeutig verfassungswidrig, was jedoch nichts daran ändert, dass der Gesetzgeber genau dies für Sachbeschädigung vorsieht, die bereits dann zu „schweren Sachbeschädigung“ wird, wenn sie zum Beispiel „an einem öffentlichen Denkmal oder an einem Gegenstand, der unter Denkmalschutz steht“ begangen wird. Hätte Janos Sugar seinen Satz „Wash Your Dirty Money With my Art“ etwa an den Wänden der Albertina (Denkmalschutz!) angebracht, hätte der dafür mögliche Strafrahmen bereits bis zu zwei Jahren betragen, mit einer Erhöhung auf fünf Jahre bei Schadensummen über 50.000 Euro. Zwar ist es ebenso für Laien nachvollziehbar, dass die Kunstfreiheitsgarantie kein absolutes rechtliches „Leo“ [1] schafft, in dem im Extremfall sogar Mord und Totschlag erlaubt wären, und auch radikale Künstler akzeptieren rechtliche Auflagen, die sich etwa aus Brandschutznormen ergeben. Doch was nützt dann die Garantie des §17a STGG, wenn im Einzelfall nur genehmigungsfähig und straflos ist, was ohne Grundrecht auch erlaubt wäre? Müsste nicht aus der starken rechtlichen Privilegierung der Kunst etwa für das Strafrecht folgen, dass im Einzelfall etwas „als Kunst“ straflos bleiben könnte, was „als Nicht-Kunst“ bestraft werden müsste? Nicht zuletzt aus dieser Argumentation heraus, entwickelte die Rechtswissenschaft in den letzten Jahren einen Ansatz, demzufolge bei der Gesetzesanwendung durch die Gerichte und Verwaltungsorgane immerhin eine Abwägung vorgenommen werden müsse, ob das einfachgesetzlich geschützte Rechtsgut im Einzelfall schutzwürdiger ist, als die durch die höherrangige Verfassung geschützte Freiheit der Kunst. Somit stünde Janos Sugar in Österreich zwar weiterhin vor Gericht, doch der Richter/die Richterin müsste eine Abwägung zwischen dem Schutz der Unversehrtheit des Eigentums und dem Schutz der Freiheit der Kunst treffen. Glaubt man also, dass eine Entscheidung wie die ungarische in Österreich nicht möglich wäre, müsste man diesem Abwägungsprozess vertrauen und darauf bauen, dass dieser im Einzelfall zu Gunsten der Kunst vorgenommen wird. Nimmt man die zentrale Stellung des unversehrten Eigentums in der österreichischen Rechtsordnung als Maßstab, so lässt sich daraus jedoch nicht die Hoffnung auf automatische Straffreiheit für künstlerische Praxis ableiten, wenn auch fünf Monate für zwei Kleingraffiti eines Ersttäters (derzeit) unwahrscheinlich scheinen. Dennoch: Es bleibt bei der – oft unbefriedigenden – Antwort, dass bei Eingriffen in fremdes Eigentum nicht die Qualifikation als Kunst sondern nur Genehmigungen gültig vor Verfolgung schützen.
Mehr Texte von Martin Fritz

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Ihre Meinung

2 Postings in diesem Forum
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hans knoll | 27.07.2011 08:36 | antworten
janos sugar ist nicht nur mit der bedingten strafe von 5 jahren konfrontiert, sondern auch mit der tatsache, dass er in diesen 5 jahren auch keinen zugang zu staatlichen förderungen oder teilnahme an bestimmten programmen hat. für ihn ist es nun schwierig zu entscheiden, ob er eine berufung einlegt, was seine situation in obigem sinn noch weiter verschlimmern könnte. insgesamt ist der fall die sichtbare oberfläche einer sich kaum äussernden kunstszene, die sich vor der öffentlichen stimmung immer mehr duckt. schlimmer: es gäbe kaum unterstützung in der ungarischen öffentlichkeit für ihre anliegen, wenn nicht gar ansteigende gegnerschaft. die medien sind selbst zu sehr in bedrängnis, als dass sie hier in ausreichendem ausmass aufklärend oder unterstützend sich engagieren würden (wenn sie nicht ohnehin zu grosses desinteresse oder ärgeres gegenüber der zeitgenössischen kunst haben). eine erlösung aus dieser lage ist nicht in sicht - es besteht allgemein die furcht, es würde schlimmer werden. eine schwierigkeit der kunstszene ist die eigene zu starke anpassung an den neuen "bürgerlichen" geschmack in den letzten 20 jahren - es gab dadurch kaum platz für und interesse an opposition an gesellschaftlichen zuständen, natürlich auch basierend auf den erfahrungen aus jahrzehnten im fast alles abdeckenden sozialistischen system. besonders ungarn lebte in diesen jahrzehnten kommunistischer herrschaft stark in kompromissen, die auch jetzt noch sich auswirken. es fehlt an kritischen stimmen, die unterstützung in der gesellschaft haben könnten. zu sehr gewöhnte und gewöhnt (!) man sich daran zu emigrieren, anstatt im land selbst etwas verändern zu wollen (was natürlich gefährlich war, das sollte man natürlich nicht vergessen, in manchen jahren den tod bedeuten konnte, wie etwa in den jahren nach dem ersten weltkrieg). doch haben die jahrzehntelangen, oft augenzwinkernden kompromisse die gesellschaft in einen zustand ohne hoffnung auf veränderung durch zivilcouragiertes engagement versetzt - doch dieser zustand ist wohl in österreich auch nicht unbekannt. hans knoll
korrektur urteil
hans knoll | 27.07.2011 09:07 | antworten
korrigiere das von mir erwähnte strafausmass: 5 monate haft auf 2 Jahre bewährung! hans knoll

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