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Cy Twombly 1928 – 2011

Im Jahr 1962 bringt Pier Paolo Pasolini sein „Mamma Roma“ in die Kinos. Wie üblich bei ihm, geht es asketisch zu und sozialkritisch, das Unglück bricht herein in einem neu erbauten Vorstadtviertel namens Quartiere Tusculano, auf das man sehr stolz war seinerzeit in der Kapitale (einer der Architekten des Quartiere war übrigens Adalberto Libera, von dem auch die Villa Malaparte auf Capri stammt, die wiederum in diesen Jahren Jean-Luc Godard als Szenerie seines nicht minder schicksalsschweren „Le mépris“ dient). Notorischer Schauplatz des Treibens bei Pasolini ist eine Freifläche, ein leerer Rest zwischen den Betonbauten, auf der sich wundersame Gebilde tummeln, Backsteinungetüme, amorph, Trümmer, Bruchstücke. Sie stammen von einem römischen Aquädukt, der einst für ein vitaleres Dasein sorgte als es Pasolini nun vor Augen stellt. Man muss sich Cy Twomblys Inszenierungen so ähnlich vorstellen wie die Relikte des Aquädukts. Auch bei ihm scheinen wie vom Himmel gefallen Spuren des Altertums auf, und sie mengen sich unter die Modernitäten, die seine Leinwände bevölkern. Modernitäten, das sind die Flüchtigkeiten kaum greifbarer Erscheinungen, Andeutungen, Ephemeritäten, die zwar für immer auf den Oberflächen haften aber dennoch wirken als wären sie nur auf einen Sprung da. Twombly ist der perfekte Vertreter des Informel und seiner Theorie, die, ausgedacht von Georges Mathieu, der Fortschrittseuphorie des Modernismus die Überzeugung unablässiger Zyklizität entgegensetzte. Die Formen kehren als Fragmente wieder. Es war der Amerikaner Twombly, der diese ureuropäische Idee in die Bilder einbrannte. Geboren 1928 in Lexington, Virginia, ausgebildet am Black Mountain College in den Jahren, da Cage, Rauschenberg, Cunningham dort Kulturgeschichte schrieben, ging Cy Twombly 1960 nach Rom. Hier nun lagen sie, die Trümmer, die darauf warteten, in seinen avantgardeseligen Werken die Umstände zu verewigen. Die Trümmer konnten der Antike entstammen, in Gestalt der Mythen und der Namen, oder der Wiedergeburt der Antike, als Bestandteile des Kanons, etwa bei Raffaels „Schule von Athen“, der Twombly eine seiner bedeutendsten Appropriationen gewidmet hat. Jedenfalls hat sich Twombly, der Informelle, so etwas Formellem wie einer Ikonografie verschrieben, er hat die großen Themen, Motive, Sujets gesucht und gefragt, was davon haften bleibt, rührt man sie ein in den Schmelztiegel der Moderne. Und wie es zugeht im Malstrom der unablässigen Dynamik, wurde er selbst überholt, die Halbwertszeit der Avantgarde beträgt selten mehr als fünf Jahre. Auch Twombly hatte ein allzu ausgedehntes Spätwerk zu verwalten, doch immerhin war in dieses Oeuvre eingebaut, dass einem nur die Zeitlosigkeit hilft. Wenn auch nicht seinem Schöpfer: Cy Twombly ist am Dienstag seiner Krebskrankheit erlegen. „Die Zukunft des Klassischen“ ist ein schönes Bändchen betitelt, in dem Salvatore Settis, der Pisaner Archäologe, „eine Idee im Wandel der Zeiten“ nachverfolgt. „Heute wie damals“, schreibt Settis, „zerstört die Fragmentierung in Einzelteile ohne Kontext zwar das ‚Klassische’, trägt es jedoch auch weiter und perpetuiert es.“ Es ist, als hätte Settis mit diesem Satz Twombly vor Augen gehabt. Fragmentierung als Perpetuierung: In diesem Sinn besorgte Cy Twombly dem Klassischen eine Zukunft.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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