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Artists in Residence Hungary 2010: Nicht nihilistisch, sehr vielversprechend

Alles Kunstschaffen ist ein Entzug des Nichts – im Gegenüber des Nichts wird etwas getan, das dann etwas ist, das nichts Bestimmteres will, als gegenüber dem vielen Nichts-sollen und -bedeuten ein Gewisses zu verkörpern. Besonders diejenigen, die am Anfang ihrer Zugbeziehung mit dem Nichts stehen, sind gefährdet, sich darin zu verlieren und daran zu scheitern. Darum sollte immer gelobt werden, wenn in dieser schwierigen Zeit gerade am Ende einer akademischen Ausbildung Möglichkeit und Raum bereitgestellt werden, innerhalb derer die Ruhe gegeben ist, mit dem Nichts auf Augenhöhe zu kommen. 2010 wurde erstmals acht jungen Künstlern in der von Krinzinger Projekte geschaffenen und betreuten Residency in Petömihályfa (Ungarn) solch ein Freiraum gewährt, und die Ausstellung lässt erkennen, daß dieses Unternehmen schöne Früchte trägt. Im linken Raum werden Arbeiten von Eva Chytilek, Hajnalka Tarr und Rosmarie Lukasser präsentiert. Tarr zeigt unter anderem auf dem Boden liegende, kreisrund aufgerollte Objekte aus den Stanzzeilen von Brailleschrift. Das Nichts und Etwas dessen, was innerhalb der Schrift gesagt wird, gewinnt eine eigene spiegelnd flimmernde Ästhetik. Eine große Puzzlearbeit mit dem Motiv der Olympia von Manet präsentiert nicht etwa das seinerzeit skandalöse Bild einer Kokotte mit koketter Hand zwischen den Schenkeln, sondern vielmehr eine tarnmusterartige Zusammenstellung der verschiedenen Farbtöne, die schuppenartig aufgetackert wurden und so eine Erholung vom Gemalten bieten. Lukasser trat ihren Aufenthalt zu Fuß in achttägiger Wanderung von Wien nach Petömihálfya an und hat von dieser Reise ein schönes Buch mit über 120 Abbildungen des Hinwegs und einem Daumenkino mit leitplankengefassten Impressionen der Rückfahrt erstellt. Weiters erstaunen fünf mit Lochkamera gemachte Landschaftsaufnahmen mit malerischer Farbigkeit. Von Chytilek springt vor allem eine große Schwarzweißfotografie von drei Skulpturen in einer steppenleeren Landschaft ins Auge, die ein wirkliches Trotz-dem-Nichts dokumentieren. Im rechten Raum finden sich liebevoll, aber nicht pingelig elaborierte Aquarelle von Klára Petra Szabó, auf denen junge Menschen in beschrifteter Kleidung eben durch diese Beschriftung der völligen Anonymität entgehen. Mit fünf teilweise collagierten, zwischen ironisch gemeintem Dilettantismus und akribischer Konstruktionsästhetik changierenden Zeichnungen ist Zsolt Tibor vertreten – über einer der Arbeiten hängt eine rätselhafte Geweihformation. Drei ungeschnitten aufgenommene Videoarbeiten von Diána Keller spielen mit der visuellen Reversibilität von Zeit – so läuft zwar die Uhr rückwärts, aber die Blumen verwelken dennoch. Henrik Martin zeigt zwei Skulpturen – einen leuchtenden Buddha aus Stein und einen mit zahlreichen Schnecken überzogen an eine Versteinerung erinnernden „Asteroiden“. Wer soweit gekommen ist, darf mittels Seilzug einen Vorhang beiseite ziehen und sich bückend in den „endlageschalter“ Raum-im-Raum von Linus Riepler eintreten. Durch einen schmalen und niedrigen Korridor gelangt man in ein etwas größeres Kabinett, in dem man sich hübsch gruseln und schöne Musik hören, zwei weitere Seilzüge betätigen und eine Insektenpuppenformation, die sich in Ungarn eingenistet hat, bewundern kann – das Spielerische dieser Arbeit macht den Besucher zum Mitspieler, und wer so ein Spiel mitgespielt hat, kann sich noch mehr freuen, dass dem Nichts gewehrt wird. Die Anordnung der acht sehr verschiedenen Positionen ist gelungen, und wer das Nichts fürchtet, wird nicht anders können, als diesen jungen Künstlern Bewunderung zu zollen und ihnen zu wünschen, dem Nichts noch viele Schnippchen zu schlagen.
Mehr Texte von Gesche Heumann

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Artists in Residence Hungary 2010
01.07 - 24.09.2011

Krinzinger Schottenfeld
1070 Wien, Schottenfeldgasse 45
Tel: +43 (1) 512 81 42
Email: krinzingerprojekte@gmx.at
http://www.galerie-krinzinger.at/projekte
Öffnungszeiten: Mi-Fr: 15-17h
Sa: 11-14h


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