Werbung
,

Einladungen, Gespräche und Boote: Die Währungen von Venedig

Neulich im Elternverein: Es war überraschend lustig, als der diskursiv anspruchsvolle Museumskurator anschaulich die Geschichte seiner Kränkung erzählte, die ihm bei hochsommerlichen Temperaturen in Venedig widerfuhr, als er – eingezwängt im dicht besetzten und langsam ruckelnden Vaporetto – auf den lässig im exklusiven, schnellen Wassertaxi stehenden damaligen Direktor des Museums für angewandte Kunst in Wien aufmerksam wurde. Wiener Spitzenkräfte wirken in Venedig oft entspannter als viele ihrer internationalen Gegenüber, sind sie doch weitaus weniger in die Pflicht gegenüber Freundesvereinen, Boards und Sponsoren eingespannt als viele ihrer Kolleg/innen. Weniger entspannt wirken diejenigen, die an den Toren von Veranstaltungen rütteln, zu denen sie nicht eingeladen sind, und unter verzweifeltem Rufen von Sätzen wie „But I am a curator!“ oder „Hans Ulrich Obrist invited me personally!“ um Zugang flehen, nicht zuletzt deshalb, weil sie auf einem langsam ruckelnden Vaporetto Stunden gebraucht haben, um zum Ort der Begierde zu kommen und nicht über die Mittel verfügen, um mit dem privaten Wassertaxi ihr Glück sofort bei einem anderen Empfang versuchen zu können. Die Einladungs-, Anwesenheits- und Gesprächsrituale bei großen Eröffnungen sind immer auch Marktgeschehen, in dem Sinn, dass die Marktteilnehmer/innen im permanenten Austausch versuchen, Werte zu ermitteln und sich über Qualitäten bewusst zu werden. Für die Wertfeststellung von Künstler/innen und Kunstwerken ist dies ein bekannter Umstand. Weniger oft thematisiert wird jedoch die Tatsache, dass es auch die nicht-künstlerisch Beteiligten sind, die zugleich Subjekte und Objekte jenes permanenten Einschätzungsprozesses sind, der sich eben auch in wechselseitigen Besuchen und Aufmerksamkeitsbezeugungen manifestiert. Hier wird Venedig endgültig zum riskanten Pflaster für diejenigen, die dazu tendieren, aus jedem Übersehenwerden oder Nichtgegrüßtwerden Vorboten des eigenen Abstieges herauszulesen. Denn Venedig ist immer noch der ultimative Handelsplatz für jenes symbolische Kapital, das einem Großteil der Transaktionen im Kunstfeld zugrunde liegt, und dessen besondere Tücke darin liegt, dass ein Teil davon nach einem Zirkelschluss vergeben wird: Es wird jenen zugeschrieben, die es in Anspruch nehmen können. Bereits die allererste Hürde – die Akkreditierung als sogenannter „Professional“ – ist daher zugleich Bewertung und Verteilung, da mangels harter Abgrenzungskriterien nach Ausbildung, Organisationszugehörigkeit u.ä. eben „Professional“ ist, wer die Akkreditierung beantragt und sie bekommt. Die Unruhe, die das künstlerische Feld zweijährlich im Frühjahr befällt, wenn es um die Preview-Karten für Venedig geht, ist also aus dem Wissen erklärbar, dass die Einfachheit des Zugangs an sich bereits einen Gradmesser für den eigenen Kurswert im jeweiligen Jahr darstellt. Innerhalb von Organisationen setzt sich das Abgrenzungsspiel fort, wobei sämtliche Abstufungen – von der voll bezahlten Dienstreise der Direktor/innen bis zu den Reisekostenzuschüssen für jüngere Mitarbeiter/innen – dazu geeignet sind, je nachdem entweder Motivation oder Zurücksetzungsgefühle hervorzurufen. Einmal vor Ort und im Gelände treten neben die Kapitalparameter des Reisekomforts und des Zugangs insbesondere alle Arten von Einladungen, mit denen unverhohlen geprahlt oder um die ebenso unverhohlen gebettelt wird. Besonders hübsch anzusehen war vor Jahren die Empörung einer Besuchergruppe, der – einem Konzept des Künstlers Santiago Serra entsprechend – der Zutritt zum spanischen Pavillon verwehrt wurde. Im von der FAS kolportierten Ausruf: „But we are the Guggenheim, we have free admission everywhere“, zeigte sich unverstellt der Umstand, dass jedes Quäntchen Beziehungskapital blitzartig verwendet wird, wenn es um die Sicherung der eigenen Zugänge geht. Die österreichische Delegation hat dabei lange Jahre die eigene Position am Markt der Mächte falsch eingeschätzt, wenn Einladungen zu nicht immer prickelnden Empfängen häufig mit dem Hinweis weitergereicht wurden, nur ja niemanden mitzunehmen, anstatt sich durch freigiebige Einladungspolitik zu profilieren. Naturgemäß drehen sich derartige Einschätzungen bei vielen Ländern dann oftmals um 180 Grad, und plötzlich versuchen Länder (wie einige Jahre Portugal) durch Partygroßzügigkeit jene habituellen Aufmerksamkeitsdefizite gegenüber weniger mächtigeren Ländern wettzumachen, die gerade durch das Nebeneinander in Venedig umso deutlicher werden. Nicht zuletzt im Beobachten solcher Manöver entpuppt sich die Biennale von Venedig auch als Ausstellung von Kulturpolitik. Für viele legt sich der Stress jedoch auch nach dem Überwinden sämtlicher Zugangshürden nicht. Für die Netzwerkunternehmer/innen geht es dann darum, den Kapitalzuwachs durch genügend „Face-Time“ mit einflussreichen Beteiligten zu stabilisieren. Wenn sich dann herausstellt, dass potenzielle Gesprächspartner/innen nur mit kürzestmöglichem Nickgruß vorüber schweben, versandet so manche ausgeklügelte Self-Promotion-Strategie im Ansatz. Doch auch die Obrists dieser Welt haben ihre Bürden zu tragen, müssen sie sich doch ständig vorzeitig aus Gesprächen verabschieden, in denen das Begriffspaar „My Project“ eine drängende Rolle spielt. In dieser Hinsicht psychologisch recht perfid war die Taktik eines deutschen Kunstvereinsleiters, der erklärtermaßen nie ein Gespräch von sich aus beendete, um die Last der Gesprächsbeendigung dem Gegenüber aufzubürden. Da ich diesmal nicht nach Venedig fahren werde, folgt die Self-Promotion noch schnell hier, bevor Sie mir die Last der Kolumnenbeendigung abnehmen: Ich bleibe in Wien, um eine Ausstellung (1) vorzubereiten, zu der ich Sie bereits jetzt herzlich einlade. Sie liegt an einer U-Bahn Station, hat keine Preview, und Sie benötigen keine Einladung.
Mehr Texte von Martin Fritz

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

3 Postings in diesem Forum
und ?
bitteichweisswas | 30.05.2011 07:48 | antworten
netter frühsommeressay
Wer will mein Hotelzimmer und meine Partyeinladungen?
AF | 31.05.2011 11:14 | antworten
Ich glaube ich fahre doch nicht, jetzt wo mir der venezianische Psychostress nochmal so bildhaft vor Augen geführt wurde... Danke, des brauch i echt ned;)
Information!
Wulffen | 04.06.2011 09:26 | antworten
Zu der angekündigten Ausstellung wünsche ich mir noch mehr Information und Material. Beste Grüße Thomas

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: