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Eisernen Vorhang 2002/2003: Eiserner Kompromiss

Die Wiener Staatsoper ist eine der letzten Bastionen bürgerlich-konservativer Hochkultur. Seit 1998 rüttelt eine Initiative des "museum in progress" an den Grundfesten ihres bewahrenden Kunstverständnisses: Jede Saison wird ein zeitgenössischer Künstler geladen, auf den 172 Quadratmetern des Eisernen Vorhangs moderne Akzente ins goldweißrot-samtene Ambiente zu setzen. Manche verstehen die Verhängung des gewohnten Eisenmenger-Originals als Sturm auf die Opern-Bastille. Im alljährlich wiederkehrenden vehementen Widerstand gegen die Neugestaltung des "Eisernen" manifestiert sich der eiserne Willen, an der heilen Nachkriegs-Opernwelt festzuhalten. In diesem Kontext ist Operndirektor Ioan Holender das klare Bekenntnis zur Neugestaltung hoch anzurechnen: "Es ist gut und richtig, dass Kunst polarisiert und erregt." Der heurige Entwurf des Italieners Giulio Paolini ist ein Kompromiss, er trifft den bürgerlichen Kunstnerv: Der neue "Eiserne" zierte das Titelblatt der "Presse"- Wochenendausgabe. Der Kompromiss hat Tradition. Schon 1955 zählte Rudolf Eisenmengers figürliche Darstellung von "Orpheus und Euridike" nicht zu den progressivsten Wettbewerbsbeiträgen. Auch Künstler wie Oskar Kokoschka, Marc Chagall, Max Weiler und Herbert Boeckl hatten eingereicht. Eisenmenger traf den Nerv des Publikums, der "Eiserne" wurde beliebtes Inventar. Paolini setzte die Metapher des Vorhangs als Rahmen für die Bühne bildlich um. Schräg zugeschnitten, klebte er Fotos eines klassischen, karmesinroten, goldverzierten Theatertextils zum Rahmen um ein Quadrat in der Mitte. Darauf ist eine leere Bühne vor kosmischem Nachthimmel mit Scheinwerfern, Podesten, Regiestuhl und Aufbauten zu sehen. Suggeriert wird der Blick hinter die Kulissen auf Illusionsmaschinerie und Bühnenmechanik, der Himmel wird zum Bild für das Universum Theater. Paolinis Vorlage war eine Collage in A4- Format. Ein so winziges Original auf derartige Dimensionen aufzublasen, bedeutet immer extreme Verfälschung und Qualitätsverlust. Das zentrale Quadrat irritiert räumlich: Es entspricht nicht den Proportionen des Guckkastens der Oper. Farblich schlägt sich die Collage mit dem Interieur, sie hat den richtigen Ton nicht getroffen. Aber der muss ja aus dem Orchestergraben kommen.
Mehr Texte von Isabella Marboe

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Eisernen Vorhang 2002/2003
31.08.2002 - 31.08.2003

Wiener Staatsoper
1010 Wien, Opernring 2 / Eingang Herbert von Karajan Platz


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