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Raketengleich steigende Preise

Steht China, der größte Kunstmarkt der Welt, vor einer Spekulationswelle? Selbst chinesischen Kunstfreunden war Bai Gengyan, trotz eines ansprechenden Preisniveaus, nicht unbedingt ein Begriff. Das ist seit kurzem anders. Bai, ein Landschaftsmaler in traditioneller chinesischer Manier, der 2007 starb, hatte im Jahr 2000 ein großes Bild geschaffen, „Der brüllende Gelbe Fluss“ (Huang He Pao Xiao), das zusammen mit seinem Bild „Herbst in der Festung“ (Yan Sai Qiu) im Januar in eine Kunstbörse eingestellt wurde, die Tianjin Cultural Artwork Exchange (TCAE), die dafür Anteilscheine ausgab und in den Handel brachte. Seit den Erstgeboten stiegen die Anteilscheine für beide Werke um das Achtzehnfache bis Mitte März, bis die Aufsicht den Handel wegen exzessiver Spekulation für fünf Tage stoppte. Man änderte die Handelsregeln, aber am 7. April, so Ji Ling in der Zeitung „China Daily“, standen die Anteilscheine für den brüllenden Fluss überaus hoch: 12,24 Yüan gegenüber einem Ausgabekurs von 1,0 Yüan. Dadurch betrug der Wert des Gemäldes 73,34 Millionen Yüan – gut 7,75 Millionen Euro. Das andere Bild stand bei 12,11 Yüan pro Anteilschein, also mit einem Gesamtwert von gut 60 Millionen Yüan. Der sonst eher obskure Maler Bai Gengyan aus Shandong, der reichsten Provinz Chinas, geriet ins Rampenlicht, das die Börse das Interesse der Medien erregte. Sein höchster Auktionspreis (lt. Artprice.com) lag bis dato bei 3,93 Millionen Yüan (circa 415.000 Euro). In China gilt eine Anteilscheinbörse für Kunstwerke als finanzielle Innovation auf dem Kunstmarkt, aber Experten befürchten auch, dass das zu einer ebenso gigantischen wie aberwitzigen Spekulationswelle führt. Davon hat China kürzlich einige erlebt, gerade wie die Tulpenmanie in den Niederlanden im 17. Jahrhundert oder im Britischen Imperium die South Sea Bubble im 18. Jahrhundert: Es gab groß angelegte Spekulationen mit Knoblauch, Äpfeln und Mungo-Bohnen (Jerusalembohne, chinesisch lù dòu). Was ist die TCAE eigentlich für eine Einrichtung? Sie ist privat betrieben und eine Art Börse. Die Anteilscheine für die Kunstwerke stellen aber keine Aktien dar, wenngleich aber so etwas ähnliches. Zwei von der TCAE Beauftragte Analysten-Firmen bewerten die Kunstwerke. Der brüllende Fluss wurde von ihnen mit 6,0 Millionen Yüan bewertet. Daraufhin gab die TCAE 6,0 Millionen Anteilscheine zu je 1,0 Yüan in den Handel. Bei TCAE können akkreditierte Investoren Konten eröffnen, was ursprünglich 50.000 Yüan kostete, zwischenzeitlich offiziell aber auf 500.000 Yüan erhöht wurde. Als Maßnahme gegen zu hohe Volatilität setzte die Börse tägliche Schwankungsbreiten fest. Die Kunstanteilsschein-Börse handelt zwar auch mit Kalligraphien, Skulpturen, Kunsthandwerk, Jade-Waren, Porzellan und antiken Möbeln; auch andere Dinge, wenn sie zertifiziert sind. Ein rosafarbener Diamant ist laut China Daily zurzeit aber der einzige Gegenstand im Handel, der kein Gemälde darstellt. Erfunden hat diese Art des Handels mit Kunst die TCAE aber nicht. Im vergangenen Jahr hat die Shenzen Artvip Cultural Corp 1000 Anteilscheine eines Kunstportfolios mit 12 Bildern des zeitgenössischen chinesischen Künstlers Yang Peijiang (Auktionsrekord lt. Artprice.com ca. 23.000 Euro) auf der von der Regierung gesponsorten Shenzen Cultural Assets and Equity Exchange angeboten. Die Anteilscheine waren am ersten Tag ausverkauft und brachten 2,4 Millionen Yüan ein. Die Börse in Tianjin ging allerdings einen Schritt weiter, indem sie täglichen Handel mit den Papieren zuließ, so dass die Möglichkeit für Investoren bestand, durch die Kursbewegungen kurzfristig Gewinne mitzunehmen. Die TCAE beschreibt ihre Ziele auf der eigenen Website so (zit. N. China Daily): „Das Ziel ist es, die Kunstwelt mit dem Kapitalmarkt zusammenzubringen und die Synergien von Kulturindustrie und Finanzmarkt zu beleben, indem man mehr öffentliche Aufmerksamkeit erregt und mehr Teilhabe an der Kultur durch Investment schafft.“ Obwohl die Börse ein Privatunternehmen ist, sagt sie, dass sie Unterstützung von der Stadtregierung erhält und 2009 auf der Liste der Top 20 Projekte für Finanzinnovation der Stadt stand. Die Börse wurde im September 2009 registriert, es dauerte aber ein Jahr, bis sie aktiv werden konnte. Die Kritik an diesem Kunst-Handelsmodell, etwa durch Zhang Zhongyi, den stellvertretenden Generalsekrtetär der China Association of Collectors im Magazin Century Weekly, verweist darauf, dass das Risiko für Investoren sehr hoch sei, weil es nicht genug spezifische Regulierungen und qualifizierte Aufsichtsgremien gibt, und dass zuverlässige Bewertungskriterien Mangelware sind. Hier sei der ungehemmten Spekulation Tür und Tor geöffnet. Außerdem störe die Spekulation, zumal eine mit eher obskuren Bildern, die Entwicklung des chinesischen Kunstmarkts, der ohnehin schon sehr volatil sei. Am 17. März wurde der Handel mit den beiden Bildern aufgehoben, auf Grund einer Anweisung der Stadtregierung von Tianjin, die erging, so TCAE auf ihrer Website (zit. n. China Daily), „um Risiken zu mindern und die Interessen der Investoren zu schützen.“ Die Börse lehnte es ab, ihre Aufsichtsperson zu benennen und lehnte alle Interviewanfragen ab, ebenso wie sie keine Auskunft über Handelsabläufe oder die Struktur des Managements abgibt. Als am 24.März der Handel mit den beiden Bildern wieder aufgenommen wurde, begannen die Preise zu fallen. Mittlerweile sind aber sieben weitere Gemälde von Bai eingestellt worden und alle verzeichneten signifikante Preisanstiege.
Mehr Texte von Gerhard Charles Rump †

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