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Mary Ellen Carroll - Proposals, Encryptions and the Death of a Typology (Architecturally Speaking): Eine Frage des Standpunktes

In der derzeitigen Ausstellung bei Hubert Winter ist die amerikanische Konzept- und Performancekünstlerin Mary Ellen Carroll bereits zum fünften Mal in Wien zu sehen. Winter präsentiert hier etwas ältere Arbeiten, deren unterschiedliche intellektuelle Ebenen noch in realen ästhetischen Produkten münden, im Unterschied zu jüngeren Arbeiten wie „Nothing“ von 2007, wo Carroll nur noch mittels schriftlichem Bericht von einer künstlerischen Aktion informiert. Im Hauptraum der Galerie hängen fünf wollene amerikanische Marinedecken, die mit Schriftbahnen bedeckt sind. Wie mit einer überdimensionalen Schreibmaschine, in der Bauhausschrift „Universal“ geschrieben, überziehen die schwarzen Schriftzeichen den beigen Untergrund. Auf den ersten Blick handelt es sich um einen englischen Text, aber bei näherer Betrachtung erweist es sich als Transkription gesprochener Sprache, eine Art Lautschrift nach dem American Heritage Dictionary. Der Text selbst ist die bitterböse Satire „A Modest Proposal“ von Johnathan Swift aus dem Jahr 1729, in der Swift den Vorschlag macht, Kinder auf Grund der übergroßen Armut in Irland ab dem Alter von einem Jahre zwecks Verzehr zu verkaufen. Swift spinnt diesen Gedanken in die verrücktesten Höhen weiter, indem er den volkswirtschaftlichen Nutzen daraus errechnet und sogar Zubereitungsarten für einzelne Gerichte empfiehlt. Natürlich ist dies dem Elend in Irland sowie der Unterdrückung des Landes durch die Engländer geschuldet und beinhaltet auch eine beginnende Kapitalismuskritik. Liest man aber den gesamten Text, zu dem uns Mary Ellen Carroll da einlädt, dann kann man sich eines gewissen Gefühls der Geschmacklosigkeit und Perversion nicht erwehren. (1) Swift schießt da weit über sein Ziel hinaus, obgleich die Idee, dass die Mittellosen sich durch Selbsttötung selbst abschaffen sollten, sicherlich von so manchem Despoten geträumt worden ist. Die Zeitlosigkeit dieser Arbeit ist ihre eigentliche Qualität. Bereits 1990/91 nähte Mary Ellen Carroll in einer fast zweijährigen Arbeit diese „Schriftteppiche“ und schuf damit ein Element der Dauer. 1997 waren sie schon einmal bei Winter zu sehen, und auch 2011 bieten sie ein breites Interpretationsspektrum für politische Usancen. Die wohl schönste Arbeit in dieser Ausstellung beschäftigt sich unter dem Titel „act of god“ mit dem „Glasshouse“ von Mies van der Rohe in Illinois. Zu sehen sind fünf graue Lithografiesteine mit Landschaftsaufnahmen an einem Fluß in monochromem Blau. Es sind dies Ausblicke aus dem „Glasshouse“ auf den Fox River, die den Charakter des Gebäudes sehr bestimmen. Mies van der Rohe war daran interessiert, ein luftiges Haus zu gestalten, dessen Bewohner möglichst barrierefrei mit der Landschaft leben sollten. Wie problematisch dieser Anspruch war und auch von der Auftraggeberin Edith Farnsworth nicht immer geschätzt wurde, zeigen ihre Memoiren, deren dreizehntes Kapitel die Konflikte mit Mies van der Rohe beschreiben. Diesen Text hat Carroll in Form eines Binärcodes, den Gyphtones, über die Fotos gelegt und das Ergebnis in die Lithografiesteine eingearbeitet. Die blaue Färbung des Bildes kommt durch die Färbung der Fotoemulsion zustande. Bemerkenswert ist, dass Carroll uns nicht nur den Blick auf das weltberühmte Haus eines Starachitekten verwehrt, sondern auch quasi die private Einschätzung eines Auftraggebers, wenn auch verschlüsselt, mitliefert. Wie sehr Mary Ellen Carroll Architektur auch als soziales Element interessiert und für sie auch der Wechsel von intellektuellen Blickpunkten für sie wesentlich ist, zeigt ihr wohl bisher langwierigsten Projekt, das Drehen eines Hauses um 180 Grad. Unter www.prototype180.com sind die Rotationen des Einfamilienhauses in Sharpville, Houston, zu beobachten. Es beinhaltet aber auch das Verlegen neuer Kabel, das Entwerfen neuer Schaltkreise und vieles mehr. In der Galerie Winter sind nun die abstrahierten Schwarz-Weiß-Zeichnungen der Drehungen aus dem Jahr 1992 zu sehen. Mit ihren Kuben und schwarzen Linien entstand so ein sehr schönes Konzentrat einer konzeptuellen Ästhetik.
Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Mary Ellen Carroll - Proposals, Encryptions and the Death of a Typology (Architecturally Speaking)
11.03 - 07.05.2011

Galerie Hubert Winter
1070 Wien, Breite Gasse 17
Tel: +43 1 524 09 76, Fax: +43 1 524 09 76 9
Email: office@galeriewinter.at
http://www.galeriewinter.at
Öffnungszeiten: Di-Fr: 11-18h
Sa 11-14h


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