Werbung
,

Florian Pumhösl - 678: Über die Unverständlichkeit

James Abbott McNeill Whistler hatte wie Edouard Manet einen skandalträchtigen Auftritt im Salon des réfusés des Jahres 1863. Manets Malefizaktion war das „Frühstück im Grünen“, dem man sogleich mit dem Pornografie-Verdacht kam. Whistlers Werk war „La dame en blanc“, das Porträt seiner Geliebten Jo, wie sie, angetan mit einem langen weißen Kleid, auf einem Eisbärenfell stehend, von einem mit Manet sehr vergleichbaren leeren Gesicht entrückt, einfach in ihrer Vorhandenheit abgebildet ist. Wie bei Manet schlüpft ein Modell in verschiedene Rollen, wie bei ihm formuliert die Lebensgröße einen Anspruch, den man ihm nicht zugesteht, und wie bei ihm macht sich ein Hang zur Indifferenz im schieren Vorführen des Gegebenen bemerkbar. Auch bei Whistler setzt der Mechanismus der Projektionen und Sexualisierungen sogleich ein: Der Kritiker Castagnary etwa sieht in dem Bild eine Frau vor ihrer Hochzeitsnacht gegeben und hält es für nötig, darauf hinzuweisen, dass sie bald „ihre Jungfräulichkeit verlieren“ werde. Und wie bei Manet gibt es bei Whistler einen Kunstliteraten, dessen Auslegung sich buchstäblich nehmen lässt, es ist Paul Mantz, der in Baudelaire'scher Emphase von der Korrespondenz der Künste eine „symphonie en blanc“ wahrnimmt. Dieses Diktum wird sich Whistler zu eigen machen, sein Werk in „Symphonie in Weiß Nr. 1“ umbenennen und weitere Darstellungen mit diesem Titel und entsprechend fortlaufender Numerierung versehen. Die Bilder appellieren an musikalische Qualitäten, und der Künstler wird sich im Verlauf seines Oeuvres an Vorstellungen von Harmonie, Komposition und Stimmungshaftigkeit auch orientieren. Wann immer man etwas nicht versteht, die Brücke zur Musik, der man längst die Autonomie als Alleinstellungsmerkmal zuerkennt, ist schnell gebaut.

Auch Florian Pumhösl baut in seiner, wie nennt man das, Mid-Career Survey im Wiener Mumok diese Brücke. Die Folge von mit wenigen Strichen skizzierten Hinterglasmalereien im zentralen Austellungsraum beruft sich im Titel auf den musikalischen Begriff der „Diminution“. Die beiden Filme, deren Präsentationsorte das gleissende Weiß der Haupthalle mit dem sinistren Angebot, sich an der Wand den Kopf zu stoßen, kontern, liefern zum einen einen „expressiven Rhythmus“ und Klavierbegleitung nach Charles Ives und zum andern eine Tanznotation, die derart streng auf Linien reduziert ist, dass wiederum der Klang das zentrale Element der Darbietung ausmacht. Pumhösl betreibt seit langem orthodoxeste Art After Modernism. Zwischen Abstraktion und Esoterik, Faible fürs Gesamtkunstwerk und Transgression der Künste kann Pumhösl vielfältig aufgreifen und ins eigene Idiom transferieren, wie sich diese Moderne mit dem Prinzip Geräusch ins Benehmen setzte.

Pumhösls Purismus trägt observantistische Züge. Die Andeutung, das reine Schwarz-Weiß, die strenge Linie und die blitzschnell wieder dementierte Erscheinung sind seine Medien, und das Exerzitienhafte wird unumgänglich in dem Moment, da man sich zu entscheiden hat, ob man nun sofort wieder geht, da das phänomenale Sortiment ohnedies sehr überschaubar ist, oder sich in stundenlanger Einarbeitung erschließt, was zur Goethezeit Kontemplation hieß. Auf seine Art ist das sehr spektakulär und erinnert daran, dass Friedrich Schlegel, der Theoretiker der Unverständlichkeit, zu den Instanzen des Interessanten einst auch „das Fade“ zählte. Die Anwandlung ans Musikalische aber ist eine Konzession. Schön, wenn einem alles abverlangt wird. Diese Eklatanz wird aber nicht gefügiger, schreibt man einen Violinschlüssel davor.

Mehr Texte von Rainer Metzger

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Florian Pumhösl - 678
04.03 - 29.05.2011

mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien
1070 Wien, Museumsquartier, Museumsplatz 1
Tel: +43 1 52 500, Fax: +43 1 52 500 13 00
Email: info@mumok.at
http://www.mumok.at
Öffnungszeiten: Täglich: 10.00–18.00 Uhr, Do: 10.00–21.00 Uhr


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Diese Eklatanz wird aber nicht gefügiger, schreibt man einen Violinschlüssel davor.
bitteichweisswas | 22.03.2011 09:15 | antworten
dem treffsicheren, entlarvenden Kommentar von rainer metzger bleibt nichts hinzuzufügen

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: