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Partnertausch als Jahresauftakt

Zum mittlerweile dritten und wohlmöglich letzten Mal präsentieren Berliner Galerien ein französisches Programm, bevor sie in zwei Wochen selbst nach Paris umziehen. Neben dem Kunstherbst rund ums Art Forum sowie dem Gallery Weekend im April hat sich in den vergangenen zwei Jahren ein weiteres Format in der Berliner Galerienszene etabliert, das durch einen gewissen Eventcharakter Kunstinteressierte zu einem ausführlichen, bei je 14 teilnehmenden Galerien aber überschaubaren Galerienrundgang verleitet. „Berlin-Paris“ heißt der deutsch-französische Galerientausch im Januar und weckt damit die Assoziation zur 1978 von Werner Spies im Centre Georges Pompidou kuratierten Ausstellung „Paris-Berlin 1900-1933“. Doch es werden nicht ausschließlich französische und deutsche Künstler präsentiert, sondern vielmehr Programme beziehungsweise einzelne Positionen der teilnehmenden Galerien. Das Projekt – initiiert vom kunstaffinen französischen Botschafter Bernard de Montferrand und organisiert von Cédric Aurelle vom „Bureau des Arts Plastiques“ – liefert mit Konzept, Pressearbeit und Transportsponsoring die Basis, lässt darüber hinaus den Protagonisten jedoch viel Freiheit. So hat sich ein dynamisches Format entwickelt, deren Teilnehmer und Partner von Jahr zu Jahr wechseln können – die Berliner Galeristen wählen jeweils ihre französischen Partner –, wobei jedoch ein konstanter Galerienstamm zu erkennen ist. Im zweiten Jahr pausierend und jetzt wieder mit dabei ist etwa Isabella Bortolozzi, die in ihren Räumen die sicher schönste und überraschendste Ausstellung beherbergt. Denn hier hat mit Kurt Schwitters und Hans Arp DADA Einzug gehalten und zwar nicht nur in Form von Merz-Collagen und amöboider Skulptur, sondern auch mit Wortspielen, die, zum Teil in Originalaufnahmen, den Besucher die museale Patina vergessen lassen und die 20er und 30er Jahre beziehungsweise den Schaffensgeist der Künstler über das Auditive sehr präsent machen. Mit der Galerie Natalie Seroussi schlägt Bortolozzi diesmal den entgegen gesetzten Weg zu 2009 ein, als sie die sehr jungen Galerien Balice Hertling und castillo/corrales einlud – der Hang zum Experiment, der Geist aber ist derselbe. Auch Sommer & Kohl scheint bei „Berlin-Paris“ eine Genealogie in beide Richtungen aufzuzeigen. Während sie im vergangenen Jahr die renommierte Galerie Denise René mit konstruktiver, konkreter und kinetischer Kunst zu Gast hatte, stellt sie nun dem Institute of Social Hypocrisy ihre Räume zur Verfügung, einem Künstler betriebenen Projektraum, der selbst eine (collaborative) Arbeit des Künstlers Victor Boullet bildet. Leider ist die Umsetzung in situ weniger gelungen als die Idee, sich mit marktwirksamen Methoden im Kunstbetrieb auseinanderzusetzen. Grandios dagegen leistet Garry Hill eine kritische Reflektion des Kunstsystems in seiner Arbeit „Poor Man’s Guilt“, 2007, in der sowohl Künstler als auch Betrachter für ihr Handeln im System bestraft oder beschimpft werden. Zu sehen ist die Arbeit in der Galerie Barbara Thumm, die in diesem Jahr erstmals und zwar mit In Situ – Fabienne Leclerc am Austausch teilnimmt. Wie auch in den beiden Vorjahren hat Mehdi Chouakri die Galerie 1900-2000 eingeladen, die diesmal ihre klassischen Werke – darunter Francis Picabia oder Jean Dubuffet – auf Wandarbeiten von John Armleder oder Mathieu Mercier zeigt. Zwar ist die Auswahl der jeweiligen Paare gelungen und es entsteht sicher ein Bild, das in Erinnerung bleibt, doch riskieren die Wandarbeiten, vor allem im Fall von Gerwald Rockenschaub, zur dekadenten Dekoration zu verkommen. Einen ungewöhnlichen Partner hat Johann König gewählt: keine Galerie, sondern das Pariser Magazin Paradis. Hier war in 2009 die gleichnamige Serie des Fotografen Juergen Teller erstmals erschienen, für die dieser das Model Raquel Zimmermann und die Schauspielerin Charlotte Rampling in einer extrem unprätentiösen Manier als Akte zwischen den Meisterwerken des Louvre fotografierte, und die jetzt von König im Großformat präsentiert wird. Bei carlier | gebauer bildet der Austausch nicht den Schwerpunkt innerhalb der Galerie, sondern ist wie bereits zuvor in die Nebenräume verbannt, deren Besuch sich aber dennoch lohnt. Im Eingangsbereich empfängt einen etwa die Marmortafel von Braco Dimitrijevic, die der Künstler mit der Inschrift „This Could be a Place of Historical Importance“ versah und als „portable monument“ bezeichnet, welches wie 1971 an einem Haus im Londoner Soho angebracht sein kann ebenso wie an jedem anderen Gebäude, an dem der Künstler zufällig vorbeigeht. Eher gezielt – derzeit mithilfe des „Berlin-Paris“-Faltplans – denn zufällig kommen Besucher in die versteckte, erst wenige Monate alte Galerie des ehemaligen Mitarbeiters von carlier | gebauer, Florent Tosin, in der Potsdamer Straße. Hier zeigt derzeit Michel Rein sein Programm, der vergangenes Jahr noch mit carlier | gebauer tauschte. Dies illustriert die Dynamik des Projektes ebenso wie das sich partnerschaftliche Unterstützen, das bei „Berlin-Paris“ das Konkurrenzdenken zu übertreffen scheint. Es ist ein Format, dass für die jeweiligen Gäste viel besser funktioniert als eine Messe, da es wie ein Tipp der heimischen Galerie an die Stammkundschaft gesehen werden kann, es gibt ihnen eine deutlich bessere Möglichkeit sich zu präsentieren und besitzt eine viel angenehmere Atmosphäre. Ob der Austausch jedoch fortgesetzt wird, steht derzeit nicht fest, da sowohl Bernard de Montferrand als auch Cédric Aurelle Berlin in diesem Jahr verlassen werden. Die Ausstellungen in den teilnehmenden Galerien dauern zwischen einer und sechs Wochen. Ab dem 28. Januar werden die deutschen Galerien die Räume ihrer Pariser Kollegen bespielen.
Mehr Texte von Conny Becker

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