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Louise Bourgeois: Dialog zwischen (Un-)Gleichen

Zum 100. Geburtstag von Louise Bourgeois präsentiert die Fondation Beyeler einige ihrer Schlüsselwerke – dazu zählt die berühmte Cell Passage Dangereux ebenso wie der späte, 220 Blätter umfassende Zyklus Insomnia Drawings und die monumentale Spinne Maman, der Publikumsmagnet im Garten. Trotzdem ist die Basler Ausstellung keine weitere breit aufgestellte Retrospektive. À l’infini parallelisiert vielmehr einzelne ausgesuchte Arbeiten der Künstlerin mit „Großmeistern“ moderner Kunst wie Cézanne, Picasso oder Barnett Newman. Die offensichtliche These der Ausstellung: Bourgeois steht mit ihren schwergewichtigen – und ausnahmslos männlichen – Kollegen im Dialog auf Augenhöhe. Mit Red Fragmented Figure und Fernand Légers Contraste de formes stehen sich zwei Werke von ähnlich kubistischer Dynamik gegenüber; The Waiting Hours, eine Serie geometrischer Patchwork-Kompositionen, hängt neben den asymmetrischen Farbformen Ellsworth Kellys Blue Black Red Green; und ein In Respite betiteltes Gestell aus Garnrollen und einem mit Nadeln traktierten amorphen rosa Körper teilt sich den Raum mit Francis Bacons Lying Figure. Solcherlei formalästhetische Engführung erweist sich für Bourgeois als Fluch und Segen gleichermaßen. Mancher Vergleich gerät hier zur Plattitüde. Wenn beispielsweise Bourgeois’ Cell XVII – eine im Käfig steckende Büste – unmittelbar neben Giacomettis kompositorisch fast identischem La Cage präsentiert wird, wirkt erstere leider nur mehr wie ein allzu grobes Zitat des letzteren. Ein Anschein schulmeisterlicher Hierarchie ist das Resultat dieser direkten Gegenüberstellung von vermeintlicher Nachahmung und scheinbarer Vorlage. Andererseits befreit die vergleichende Reduktion aufs Formale Bourgeois von der triefenden Schwere ihrer psychoanalytisch-autobiografischen Lesart – die zweifellos berechtigt, aber doch längst zur verschlagworteten Eindimensionalität geronnen ist. Bourgeois’ Werk primär in ihrer ästhetischen Qualität gewürdigt zu sehen ohne immer schon die kindheitstraumatische Übersetzung mitgeliefert zu bekommen, ist eine wahre Freude. Ein weiteres Bourgeois-Giacometti-Doppel erzeugt in diesem Sinne geradezu graziöse Poesie. Die Arbeit À l’infini besteht aus 14 großformatigen übermalten Radierungen in zarten Rot- und Grautönen. Zugrunde liegt ihnen stets derselbe Ausgangspunkt – zwei sich überkreuzende und umeinander windende Bänder, welche die Künstlerin mit immer neuen Variationen von Fäden und Blasen ergänzt hat. Durchaus ließen sich hier Blut und Gedärme sehen, die Themen Abhängigkeit und Sexualität finden. Mit Giacomettis den Raum vermessenden Skulpturen L’homme qui marche und Grand femme III als Gegenspieler eröffnet sich jedoch zugleich ein offeneres Feld. Die Überkreuzungen und Wiederholungen, das Ineinander von möglichen Richtungen und fixen Momente verhandeln Beziehungsgefüge auf einer weit abstrakteren Ebene. Wo der breitgetretene Bourgeois-Rezeptionspfad in den Hintergrund rückt, macht er Wege frei für neue Bedeutungsschichten ihres Werks. Nichtsdestotrotz kontextualisiert Bourgeois’ Oeuvre die Arbeiten ihrer männlichen Kollegen auch kritisch und erinnert an den geschlechtsspezifischen Preis von Existenzialismus und minimalistischer Abstraktion.
Mehr Texte von Ines Kleesattel

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Louise Bourgeois
03.09.2011 - 08.01.2012

Fondation Beyeler
4125 Riehen / Basel, Baselstrasse 101
Tel: +41 - (0)61 - 645 97 00, Fax: +41 - (0)61 - 645 97 19
Email: fondation@beyeler.com
http://www.beyeler.com
Öffnungszeiten: Mo-So 10-18, Mi 10-200 h


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