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Courbet

Gerade hat in der Frankfurter Schirn eine große Ausstellung mit Werken Gustave Courbets aufgemacht. Klaus Herding, deutscher Kunsthistoriker aus dem Geist von 68, zieht darin die Summe seiner lebenslangen, mehr als zwei Dutzend publizistische Beiträge umfassenden Beschäftigung mit dem resoluten Schaumaler. Herdings Summe, sein Resümee, besteht in einer Neuinterpretation. Hatte er Ende der Siebziger Courbets „Realismus als Widerspruch“ identifiziert, sieht er heute das glatte Gegenteil: Courbet ist ein Dialektiker der Aufklärung, ein Erbe Goyas, und es geht um einen „Traum von der Moderne“, wie Herding die Präsentation dann auch betitelt hat. Courbet, der Somnambule, der Abgründige, der Wühler im Menschlich-Allzumenschlichen. Fragen wir doch einen Zeitgenossen, einer der allergrößten. Am 15. April 1853 stattete Eugène Delacroix Courbet einen Besuch ab, um den Maler und die Bilder kennenzulernen, die er als Mitglied der Salonjury zu beurteilen haben würde. Das Treffen verlief durchaus beeindruckend für Delacroix, denn sein Tagebuch, das „Journal“ verzeichnet einen ungewöhnlich langen Eintrag über das, was der Meister zu sehen bekam. Es war allen voran jenes damals noch namenlose Werk, das im Salon des Jahres 1853 als „Les Baigneuses“ firmieren und einen veritablen Skandal verursachen wird (es ist indes nicht in der jetzigen Ausstellung). Delacroix hebt entsprechend die Wucht und die Eindrücklichkeit dieses „tableau principal“ hervor, um sodann zur Tat zu schreiten: „Gegen die Vulgarität der Formen wäre nichts einzuwenden; es sind die Vulgarität und die Nichtsnutzigkeit des Gedankens, die es abscheulich machen; und wenn, in der Mitte des Ganzen, diese Idee, was auch immer sie meint, wenigstens klar wäre! Doch was sollen diese beiden Figuren?“ Delacroix notiert sich eine Beschreibung der nackten Frauen, eine Erinnerungsskizze, die bisweilen unterbrochen wird von einem schier ungläubigen „Sie vollführt eine Geste, die nichts ausdrückt“ oder einem „Zwischen diesen zwei Figuren gibt es einen Gedankenaustausch, der nicht zu verstehen ist“. Delacroix wird das Bild für den Salon nicht blockieren. Aber er stand offenbar davor, wie bestellt und nicht abgeholt. Gustave Courbet, Portrait de l’artiste, dit Le Désespéré (Selbstbildnis als Verzweifelter), 1844-1845 Delacroix rieb sich nicht an der „Vulgarität“, der rustikalen Hässlichkeit der Frauen, in der Courbet einmal mehr seine Misogynie untergebracht hatte. Delacroix störte vielmehr die buchstäbliche Gemeinheit des Gedankens, sein Mangel an Spezifität, die semantische Leere und die daraus resultierende Prätention der Gesten, die in der Tat überdeutlich ausfallen, ohne Bedeutung zu vermitteln, Gesten, die noch dazu in unverfrorenem Gegensatz zum niedlichen Ambiente stehen. Der Titel, den Courbet bald hinzufügen wird, hilft keine Spur weiter: Nackte Frauen an einem Teich sind konkreterweise „Badende“. Aber macht die Konstellation irgendeinen Sinn? Und wohin zielt eine künstlerische Absicht, die in der Komposition durchaus augenscheinliche Andeutungen auf Verkündigungsdarstellungen macht? Das Problem der Vermittlung von Bedeutung ließ sich mit den Bildgegenständen, denen Courbet sich verschrieben hatte, nicht mehr lösen. Die Welt war längst als kontingent entlarvt und mit ihr die Motive, die sie bevölkerten. Courbet zog daraus in einer Dezidiertheit Konsequenzen, die ihrerseits Kunstgeschichte machte. Verbindlichkeit war über Semantik nicht herzustellen, also setzte Courbet auf Pragmatik: auf die Pragmatik der Provokation, auf die große Geste der Separierung von den angestammten Institutionen, auf den Topos des Wilden und auf die Selbststilisierung des „Siegen oder Sterben“, wie er es in einem Brief in eben dem Jahr 1853 an seinen wichtigsten Sammler Bruyas beschwören wird. Einen Rückzug in Gefilde des Träumerisch-Gegensinnigen allerdings hatte er dabei eher weniger im Auge. Was er immer blieb, was dies: ein Kämpfer.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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