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Ars electronica 2010: repair. sind wir noch zu retten: Ein vielversprechendes Thema und ein großartiger Ort

Die Linzer Tabakfabrik ist ein geschichtsträchtiger und denkmalgeschützter Ort. Sie wurde als früher Stahlskelettbau in Österreich in den Jahren 1929 bis 1935 von den Architekten Peter Behrens (D) und Alexander Popp (A) gebaut und gilt als einer der zentralen Industriebauten der internationalen Moderne. Das Linzer NORDICO widmet ihr in Kürze eine eigene Ausstellung (Tabakfabrik Linz: Kunst, Architektur, Arbeitswelt. 24.9.10-23.1.11). Das 38 148 Quadratmeter große Fabriksgelände wurde 2009 nach der Einstellung der Produktion an die Stadt Linz verkauft. Bislang gibt es kaum Klarheit über die weitere Nutzung. Bildungs- und Kultureinrichtungen könnten ebenso angesiedelt werden, wie Betriebe; auch die Errichtung von Wohnungen wäre denkbar. Als erste öffentliche Sichtbarmachung inhärenter Möglichkeiten bot sie den Rahmen für die diesjährige Ars Electronica, die sich entsprechend von den vorangegangen unterschied. Alles sollte an diesem Ort gebündelt und der Innenhof zum internationalen Treffpunkt werden. Ein Tag der offenen Tür wurde parallel geplant und das Publikum sollte bei freiem Eintritt Zugang zu den Veranstaltungen erhalten. Dem erwarteten Ansturm der Massen auf die Medienkunst - es waren schließlich 90.227 Besuchende - wurde mit einer jahrmarktähnlichen Inszenierung begegnet. Überdimensionale lokale Werbeträger und schier endlose Reihen von lieblos aufgestellten Bierbänken gingen Hand in Hand mit dem Geruch von altem Fett, der dem Publikum bereits beim Eingang entgegenschlug. Das tagelang nicht wechselnde kulinarische Angebot bestand aus Speckknödeln mit Sauerkraut und ähnlichem mehr. Die schlichte Eleganz der Tabakfabrik wurde dadurch empfindlich gestört und da, wo das Thema REPAIR am Essen völlig vorüberging, blieb auch der erwartete Diskurs entsprechend aus. Alles ist also etwas billiger und massenwirksamer geworden und das war in dieser besonderen Umgebung in keiner Weise zu erwarten. Die Hinwendung zu mehr Öffentlichkeit und breiterem Publikum mag für die Stadt Linz erfolgreich vor sich gehen, für die Medienkunst ist dies ein herber Rückschlag. Technoide Kultur tritt dabei seit Jahren immer mehr in den Vordergrund: Spiel und Spaß, Brot und Spiele. Was können wir mehr wollen? Das technoide Ereignis - ASIMO, in der jüngsten Version HONDAscher Roboterentwicklung - fand im immersiven "Deep Space" des Ars Electronica Center als weitere Werbeveranstaltung statt. Die vielen Kinder und Jugendlichen, die zumeist mit ihren Eltern kamen, waren begeistert und selbst die Fachleute waren sich über die weit fortgeschrittene Programmierung und die Geschmeidigkeit seiner Bewegungen einig. Wäre das Firmenlogo etwas weniger allgegenwärtig gewesen und hätte es eine kritische Moderation anstelle von Verkaufspersonal gegeben, hätte die Frage gestellt werden können, wie die wieder neue Entwicklung von Technologie zum diesjährigen Thema des Festivals passt. Im Museum der VOEST zeigt Richard Kriesche als "Featured Artist" die formal anspruchsvollste und vielleicht auch "künstlerischste" Arbeit. Datenprojektoren bewegen sich auf einem Stahlgerüst und verschieben damit Projektionsflächen an den Wänden. Dabei wird auch die Welt der Medienkunst offenbar immer männlicher. Das Format des "Featured Artist" gibt es erst seit wenigen Jahren. Bislang waren nur Medienkünstler berücksichtigt, deren Qualität hier auch in keiner Weise in Frage steht [Hiroshi Ishiguro (JP) 2009 | Featured Art Scene (SL) 2008 in gemischter Besetzung | Marko Peljhan (SL) 2007 | John Maeda (USA) und Toshio Iwai (JP) 2006 | Ulf Langheinrich (D) und Theo Jansen (NL) 2005]. Wo sind die weiblichen Featured Artists; wo das paritätische Prinzip, das sich augenblicklich ohnedies weithin in Luft aufzulösen scheint? Wo bleiben also die vielen großartigen Medienkünstlerinnen? Gäbe es hier eventuell auch etwas zu reparieren? Der in schwindelnder Höhe vom Dach eines der Gebäude in der Tabakfabrik montierte Baskettballkorb wurde zur Metapher: Die Ziele waren zu hoch gesteckt, meinte ein Linzer Künstler lapidar. Die Hoffnung bleibt, dass die Ars Electronica in Zukunft wieder mehr auf Qualität als auf Massenwirksamkeit setzt. Bei entsprechender Inszenierung könnte die Tabakfabrik mediale Kunst zweifellos noch verstärken.
Mehr Texte von Ursula Hentschläger

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Ars electronica 2010: repair. sind wir noch zu retten
02 - 11.09.2010

Tabakfabrik
4010 Linz, Untere Donaulände 68
http://www.tabakfabrik-linz.at
Öffnungszeiten: Täglich 10-18 h


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