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Thomas Locher: Form und Norm

Vielleicht schmeckt es einem, wenn Rirkrit Tiravanija kocht; womöglich ist es anregend, wenn Vanessa Beecroft nackte Models auf die Bühne stellt; wahrscheinlich ist es sogar höchst unterhaltsam, Matthew Barneys neueste filmische Kreation zu bewundern. Wie angenehm auch immer derlei Präsentationen sein mögen, etwas gibt es, das sie nicht von sich aus zu leisten vermögen, etwas, das gewisse Leute für wichtig halten, weswegen sie andere und sie sich selbst Künstler nennen. Dieses etwas ist entsprechend der Sachverhalt, dass es Kunst ist. Kunst ist, seit sie mit der Moderne eine Weise der Welterzeugung wurde, eine Sache des Textes, des Darüberredens und der Auslegung. Es hilft nichts: Erst wenn sich eine Lage an Geschriebenem und Gesagtem auf die Phänomene breitet, sind sie Kunst. Thomas Locher, der gebürtige Schwabe, der lange in Köln war und seit zwei Jahren in Berlin lebt, nimmt dieses Schichtenprinzip ganz buchstäblich. Auf Tische, Stühle, Schränke, auf Plastiktafeln und Metallwände, auf Spiegelflächen und auf Fotos legt er Lettern, die manchmal schierer Buchstabe bleiben oder sich genauso zu wortreichen und sinnverschrobenen Satzungetümen fügen. Text jedenfalls wird appliziert, und als Hybride, als Ergebnisse einer Aufpfropfung wandern die Gegenstände in die Galerie. So jetzt zu Georg Kargl. Locher, so sieht es aus, ist ein Ordnungsfanatiker. Bisweilen buchstabiert er auf seinen Unterlagen die Grammatik hinauf und hinab, liefert alles, was es an Personal- oder Possessivpronomina gibt. Über Wörter zu verfügen, die die Linguistik \Shifter\ nennt, Vokabeln also, die zwischen denen, die sie benutzen, hin und her wandern, bei \ich\ und \du\ etwa oder bei \mein\ und \dein\, ist eines der Fundamente von Identität. Locher verwaltet diese Grundfeste vielgestaltig, und wenn sie nur stark genug sind, weiten sie sich aus zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, zu Grundsätzen der Legislative und zu Grundannahmen über das Funktionieren von Gesellschaften. Locher liefert Schaubilder zum Prinzip Palimpsest. Und genau so gestaltet sich der Mechanismus der Kunst: Über das Ich legt sich ein Du, über das Einzelne das Verbindliche, über das Phänomen der Kanon, über die Form die Norm.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Thomas Locher
05.07 - 24.08.2002

Galerie Georg Kargl
1040 Wien, Schleifmühlgasse 5
Tel: +43 1 585 41 99, Fax: +43 1 /585 41 99-9
Email: office@georgkargl.com
http://www.georgkargl.com
Öffnungszeiten: Mi-Fr 13-19
Sa 11-16h sowie nach Vereinbarung


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