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Einen Steinwurf entfernt: Berlins fragile Infrastrukturen

„Wasser, Wasser, Wasser, Wasser!” Knapp und eindeutig erklärte der damalige Messechef und Geschäftsführer der Weltausstellungsgesellschaft den Kuratoren des Projekts „In Between” für die EXPO 2000 in Hannover seine Prioritäten für Projekte auf „seinem” Gelände. Mit exakt denselben Worten reagierte unser Sohn auf die Entdeckung des sogenannten „Familienfreibades” im Wiener Augarten, das als „Kinderfreibad der Stadt Wien” 1926 gebaut wurde und seither in der öffentlichen Hand verblieb, um auch Jahre später die Loyalität der BürgerInnen zu sichern. Auf der anderen Seite des Parks wohnen die singenden Kinder, doch als dem geplanten Konzertzentrum für die Wiener Sängerknaben gegenüber dem Projekt eines Filmzentrums der Vorzug gegeben wurde, ging ein für Wien außergewöhnlicher Umstand in der öffentlichen Diskussion etwas unter: Wurden die Kinderfreibäder noch zur Gänze öffentlich finanziert, mussten sowohl die Sängerknaben wie auch die Filmenthusiasten bereits private Co-Finanziers bemühen, um mit ihren Plänen voran zu kommen.

Den Ruf des Kindes noch im Ohr verschlug es den Verfasser nach Berlin zu den konzentrierten Realismus-Variationen der gestern zu Ende gegangenen Berlin Biennale, die mit dem Motto „Was draußen wartet” indirekt dazu auffordert, auch die Stadt in Augenschein zu nehmen, deren lückenhafte Infrastruktur die Fantasie jener beflügelt hat, die einst als „Children of Berlin” galten. So lautete der Titel einer 1999 vom Biennalegründer Klaus Biesenbach organisierten Ausstellung für das New Yorker P.S.1 in Anspielung auf den Umstand, dass im Wendeberlin nach 1989 so manche Schlüsselposition in Architektur, Kunst und Verwaltung vorübergehend von sehr jungen Beteiligten eingenommen werden konnte.

Eine andere Kindergeneration kam vorher aus dem Westen nach Kreuzberg, wo sich die Biennale diesmal eines leerstehenden Kaufhauses bediente, und mit dieser Ortswahl unter anderem den Umstand hervorhob, dass Berlin weiterhin durch einen verblüffenden Mangel an öffentlicher Infrastruktur für zeitgenössische Kulturformen gekennzeichnet ist: Die Biennale im Ex-Kaufhaus steht in der Nachbarschaft des neuen Künstlerhaus Bethanien, das im Juni in eine Immobile des mutmaßlichen Karstadt-Retters Nicolas Berggruen umgezogen ist. Bürgermeister Klaus Wowereit konnte zuletzt nur die prinzipielle Investitionsbereitschaft der Stadt für eine Kunsthalle und eine Landesbibliothek bekräftigten, ohne dafür feste Zeitpläne zu nennen oder konkrete Zusagen zu machen. Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus den vielen Faktoren, die die Kunst- und Kulturszene Berlins fast schon traditionell in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Immobilien- und Baugewerbe bringt, weswegen auch eine gewisse Logik darin liegt, dass neben dem nunmehrigen P.S.1 Direktor Biesenbach der Bauunternehmer und Mäzen Eberhard Mayntz als zweiter Gründer der Berlin-Biennale verzeichnet ist.

So kreuzen sich die Spuren der Biennale immer auch mit den Dynamiken der Stadtentwicklung, wobei die Veranstaltung manchmal weniger als der gentrifizierende Motor erscheint als der sie kritisiert wird, sondern eher wie ein herumgeschubstes Kind wirkt, das als „Zwischennutzer” solange in den Brachen spielen darf, bis diese wieder „ordentlich” verbaut werden, oder bis jemand ihm ein Freibad baut. Gerade in Kreuzberg wirkt die temporäre Inanspruchnahme des alten Kaufhauses durch die Kunst ja harmlos, wenn man sie mit jenen Planungen vergleicht, die uns in Erinnerung rufen, dass nicht nur Kinder und Weltausstellungschefs sondern auch Immobilienentwickler Wasser lieben: „Mediaspree” nennt sich die Masterplanung für die „Aufwertung” der ufernahen Zonen in Kreuzberg und Friedrichshain, gegen die zuletzt massiv unter dem Label „Megaspree” mobilisiert wurde, und deren Umsetzung das „Maria” am Ostbahnhof oder die „Bar 25” ebenso bedroht, wie sie generell die Zugriffsmöglichkeiten auf attraktiven Stadtraum für alle verringert.

„Spreeufer für alle” hören wir als Parole dagegen und es geht um jenen Stadtraum, dessen Umgestaltung schon vor mehr als fünfzehn Jahren durch den Bau der „Treptowers” eingeleitet wurde. Wieder treffen wir auf Bekannte: Die Berlin Biennale 2001 hatte in diesen Gebäuden eine Außenstelle, ein damals kritisiertes Entgegenkommen an die „Allianz Kulturstiftung” als Sponsor, mit dem letztendlich wenige glücklich wurden. Der Großteil der Arbeiten wurde damals im ehemaligen Postfuhramt in der Oranienburgerstraße gezeigt, welches auch in weiterer Folge kulturelle Nutzungen fand. Doch: Aus dem Postfuhramt muss das Ausstellungshaus für Fotografie „C/O Berlin” soeben ausziehen, da das Gebäude nunmehr im Besitz einer internationalen Investorengruppe steht, die den Umbau zu einem Hotel plant. Das nur einen Berliner Steinwurf entfernte „autonome” Zentrum „Tacheles” auf einem Grundstück der HSH Nordbank könnte stündlich geräumt werden und die privat finanzierte temporäre Kunsthalle am Schlossplatz geht soeben ihrer planmäßigen Schließung nach zwei Jahren entgegen. Die „Children of Berlin” rufen nach Wasser, doch baut ihnen niemand ihr Bad.

Mehr Texte von Martin Fritz

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