Werbung
,

Deutschland über allen

„Grüsse Sie“: Wer kennt sie nicht, die Adresse des Herrn Ober an den Gast in einem Wiener Caféhaus. Die beiden kargen Worte beinhalten alles, was die Spezies so besonders macht in der Kulturgeschichte, Unterwürfigkeit und Verachtung, Beflissenheit und stete Bereitschaft zur Denunziation und ganz hinten rechts womöglich auch noch so etwas wie Freundlichkeit. In jeder Serife jedes Buchstabens dieser Anrede steckt Wien, wie es leibt und lebt. Eines aber steckt nicht in diesen Buchstaben: Buchstäblichkeit. Wer glaubt, es wäre ein schlichtes Willkommen, was einem hier aus der Tiefe des Raums entgegenschallt, hat auch schon überhaupt nichts verstanden. Aus der Tiefe des Raums. Jetzt, da die österreichische Seele sich wieder dorthin gestellt sieht, wo sie sich immer schon wusste, und die Weltmeisterschaft ein gutes Ende zu nehmen verspricht, kann man ja noch einmal ein Wort darüber verlieren. „Deutschland über allen“ titelte der Standard neulich, als der Erzfeind gegen Argentinien 4:0 gewann, und natürlich war es in oben skizziertem Sinn alles andere als buchstäblich, was diese Überschrift zum Ausdruck brachte. Ein wortwörtliches Verständnis ist immer das Zeichen einer Sinnkrise. (Deswegen sind die Wiener in ihrer unumstößlichen Selbst-Überzeugtheit auch keine Literalisten; sie sehen die Welt moralisch-allegorisch). So entsprach es gleich einer doppelte Sinnkrise, was Michael Robausch, dem es gegeben war, „Deutschland über allen“ zur Überschrift zu fügen, befallen hatte, als er sich folgendermaßen per Eigenposting deklarierte: „Um missverständnisse auszuräumen: der titel bezieht sich rein und ausschließlich auf ein sportliches über-sein und sollte keinesfalls als politische anspielung interpretiert werden. bittedanke.“ Sinnkrise 1: Es gewinnen die Deutschen, und das auch noch mitreissend. Sinnkrise 2: Man reagiert darauf, wie man speziell in Wien reagiert, mittels Charme und Jargon des Caféhaus-Idioms, doch gleichzeitig muss man das in Abrede stellen. Der Verdacht eines doppelten Bodens brachte die Erklärungsnot, es auf jeden Fall buchstäblich zu meinen, also erst richtig auf Trab. Ein postponiertes „Bittedanke“, das sich kumpanenhaft einen etwaigen Argwohn, eh schon wissen, verbat, sollte noch nachhelfen. Aber es hilft nichts: Der Titel war natürlich ein Wortspiel und entsprechend mehrdeutig gemeint; was denn sonst. Ohne Nazi-Gebrumm in der zweiten Stimme singt kein Österreicher das deutsche Lied. Wem das verborgen blieb, waren einmal mehr gewisse Germanen. Lutherische Einfaltspinsel die sie sind, nahmen sie die Überschrift tatsächlich buchstäblich. „Der Standard (Wien) deliriert: ‚Deutschland über allen’“, delirierte tags darauf Dirk Schümer in der FAZ: „selten hat Zeitunglesen so viel Spaß gemacht.“ Da haben sie dann auch schon überhaupt nichts verstanden. Und deshalb kommen sie beim nächsten Mal wieder, als Touristen, als Studenten, als Job-Wegnehmer. Und die Österreicher singen ihnen beim nächsten Mal wieder das deutsche Lied.
Mehr Texte von Rainer Metzger

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: