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Biofabriken, Ölgemälde und Kunstgeschichte

Wie wird aus gesellschaftlichen Experimenten Kunst? Das Essener Folkwang Museum, begründet vom Sammler Karl Ernst Osthaus, galt in den 1920er Jahren als das weltweit bedeutendste Museum der Moderne. Wegweisend war das Museum nicht nur auf Grund seiner Sammlung, sondern auch wegen seiner speziellen Sammlungspräsentation, die Zeit- und Kultursprünge beliebig nivellierend expressionistische Ölbilder neben „Negerplastiken“, ostasiatischen Schattenfiguren oder koptischen Totenmasken präsentierte. Die Absicht war, nicht Kunstgeschichte zu erzählen, sondern energetische Felder zu errichten, synoptische Verdichtungen zu erzeugen, bei denen gesellschaftsutopische Funken zum „Volk“ (der Name Folkwang bedeutet „Volkshalle“) überspringen würden können. Heute, rund 100 Jahre nach seiner Gründung, feiert das Museum Folkwang diese Geschichte zwar mit einem großartigen Zubau (Entwurf: David Chipperfield) und einer Ausstellung namens „Das schönste Museum der Welt“, aber die damals revolutionäre Sammlungspräsentation wurde nicht wieder reaktiviert. Stattdessen hat die klassifizierende Kunstgeschichte gesiegt: Die islamische Kunst, die ozeanische Kunst, die Kunst von Emil Nolde und jene der Postimpressionisten – jede hat einen eigenen Raum erhalten. Und das mit triftiger Begründung: „Es sei kein Respekt und keine spezifische Wertschätzung möglich, wenn alles in einen Topf geschmissen würde“, so die Kuratoren. Auf meinem Erkundungsgang durch die zeitgenössische Sammlung entdeckte ich noch einen weiteren Raum, der auf ganz andere Weise einen Kommentar abgab zu den diversen Hochkonjunkturphasen gesellschaftlicher Zukunftsentwürfe, aus denen auch das alte Folkwang Museum seinen Impetus hatte: Im Raum befand sich ein Werkkomplex aus der Serie „Slave City“ der holländischen Künstlergruppe „Atelier Van Lieshout“. Die ausgestellten Bilder und Skulpturen formulierten frei nach Henri de Saint-Simon, August Comte, Charles Fourier oder Robert Owen sehr konkret eine gesellschaftliche Organisationsform, nach der sich das Zusammenleben der Menschen neu gestalten könnte: Neue Produktionszweige, neue Bildungsanstalten, Familien- und Haushaltsmodelle werden dabei zum Gegenstand zukunftsgerichteter Planungen. „Slave City“ ist allerdings eine modernistische KZ-Fantasie: In der „Slave City“ arbeiten die Einwohner entweder in Call Centern (6%) oder sie werden zu Nahrung oder Transplantationsstücken verwertet. Die Sklaven-Stadt für 200.000 „Teilnehmer“ erfüllt alle modernen Wünsche: Sie ist ökologisch nachhaltig, effizient geführt, hochprofitabel und „red dot“-designed. Gut, denkt man sich, dass die ausgestellten Diagrammbilder, Schlachtbank- und Hausskulpturen nur Kunst sind. Als provokatives Denkmodell darf „Slave City“ mit seinen ästhetisch gekonnt gestalteten Artefakten ruhig in der Kunstgeschichte seine Position beziehen. Und dann Österreich: Wie man den Medien und Museen jüngst entnehmen konnte, ist die Causa Otto Mühl immer noch nicht geklärt. Anlässlich einer Grossaustellung mit Bildern von Otto Mühl im Wiener LEOPOLD MUSEUM ist man beispielsweise in der Tageszeitung DER STANDARD hin und her gerissen: Man erwähnt durchaus, dass Mühl wegen diverser Verbrechen, die er in seiner Zeit als Guru eines als Kunstwerk deklarierten biopolitischen Experimentes begangen hat, rechtskräftig verurteilt wurde, redet aber angesichts seiner eklektischen Hobby-Malereien doch auch über „Kunst“ und „Kunstgeschichte“. Dabei ist die Sache gar nicht so kompliziert: Auch wenn ein berühmter Kunstsammler (Leopold) viele bemalte Leinwände und Papiere von einer Person besitzt, werden diese dadurch noch keine Kunstwerke. Selbst der Sammler Karl Ernst Osthaus hatte einst zahlreiche Werke von Malern gekauft, die heute niemanden mehr interessieren. Nun haben Sammler natürlich großes Interesse an jeder Form von Nobilitierung, da dadurch der Handels- und Hypothekenwert ihrer gehorteten Dinge steigt, aber die Malereien von Mühl sind einfach nicht gut! Sie sind malerisch plump, bemüht provokant und in keiner Weise originell. Otto Mühl hat mit seinen Material-Performances vielleicht Kunstgeschichte geschrieben, als „sozialer Plastiker“, der die Biofabrik in die Tat umgesetzt hat, wurde er aktenkundig, aber als Maler hatte er nie Talent. So einfach lässt sich Kunst und Leben trennen!
Mehr Texte von Vitus Weh

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