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Sailstorfer

Heute geht es um Michael Sailstorfer, der soeben den Teresa-Bulgarini-Preis in Empfang genommen hat. Sailstorfer ist immer noch sehr jung, und er ist zugleich sehr renommiert. Der Preis hätte an keinen Geeigneteren gehen können. Bekannt wurde er mit „Zeit ist keine Autobahn“: Ein Motor treibt dabei einen Autoreifen an, der Pneu dreht sich exakt auf Tuchfühlung mit der Wand, er schrammt an ihr und verliert im Lauf der Tage in der Ausstellung erst sein Profil und dann mehr und mehr Partien seiner Oberfläche, die sich ablagern als Staub, Fäden und Fetzen. Verbrannter Gummi steigt in die Nase, es dröhnt in den Ohren. Michael Sailstorfer, Zeit ist keine Autobahn, 2006, Courtesy Johann König, Berlin, © VBK, Wien 2010 Geboren wurde Michael Sailstorfer 1979 in Velden an der Vils, nicht unbedingt das Milieu für Kunstbetriebsgrößen. Velden liegt in Niederbayern, sein Vater ist dort seinerseits Bildhauer, 1987, da war der Bub acht, besuchten sie die documenta, und so wurde eine Spur gelegt, die nicht mehr abriss. Dabei ist Sailstorfer, der in Vilsbiburg aufs Gymnasium ging, dem weiten Feld seiner Herkunft verpflichtet. So hat er in einem heimatlichen Waldstück einen Film gedreht, für den einige Bäume in den Himmel katapultiert wurden, mittels Raketen und Experten für Special Effects. Entgegen dem ersten Eindruck, der Sailstorfers skurrile Maschinen für selbstgebastelt halten mag, werden diese Gebilde nämlich von Leuten hergestellt, die dafür Spezialisten sind. Künstler wie er stellen demgegenüber von jeher Generalisten dar. „Wohnen mit Verkehrsanbindung“ ist ebenfalls in der einschlägigen Umgebung entstanden. Vier Bushäuschen, wie sie trostlos und verloren an der Straße stehen, sind dabei für einige Zeit möbliert worden, Sailstorfer hat ein Bett hineingeräumt, sie mit Spüle und Toilette versehen, es gibt sogar ein Regal, damit man es einigermaßen wohnlich hat beim Warten aufs öffentliche Verkehrsmittel. Eine klassische Arbeit in situ, sehr ironisch auf die Einsamkeit eingehend, die einen überkommen mag im Bretterverschlag, und ebenso auf den International Style des standardisierten Einrichtens, der in das Bushäuschen auch nicht weniger schlecht passt als in das Einzimmerappartement. Sailstorfer trtansferiert das Arrangement ins Ausstellungshaus, die Buden sind original und die Tristesse ist es nicht minder. Michael Sailstorfer Wohnen mit Verkehrsanbindung, Urtlfing - 2001-2008, Foto: Roman März, Courtesy Johann König, Berlin, © VBK, Wien 2010 „Waldputz“ heisst noch eines von Sailstorfers Unternehmen. Ein Terrain von fünf auf fünf Metern wird dabei, dem Titel entsprechend, profund ausgeputzt, wird von Blättern, Unkraut und sonstigem der forstüblichen Monokultur nicht Entsprechendem gereinigt, bis vier Bäume übrigbleiben, Monumente ihrer selbst in klinischer Umgebung. Auch darin liegt ein skulpturales Unterfangen. Michael Sailstorfers Arbeit floriert: Im Wildwuchs dessen, was alles Kunst sein kann, bringt er die Dinge auf den Punkt, schafft Schaubilder, die sich einprägen in ihrer Lapidarität und selbstverständlichen Nachvollziehbarkeit. Warum erzähl ich das. Ich bin auch in Vilsbiburg aufs Gymnasium gegangen. Irgendwann hielt ich an meiner alten Schule einen Vortrag, und in dem Leistungskurs Kunst, vor dem ich aus dem Nähkästchen des Betriebs plauderte, saß Sailstorfer. Ich weiß nichts mehr davon, ich kenne ihn nicht persönlich, aber wir haben öfter telefoniert, und er hat mir diese Koinzidenz erklärt. Ich freue mich jedenfalls über diesen Preisträger. Und das vor allem auch in herzlicher Erinnerung an die Galeristin, der zu Ehren der Preis gestiftet wurde.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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