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Was ist deutsch?

Nun haben sie den 50. Geburtstag von Neo Rauch gefeiert. Kein Gejubel und kein Gemosere ohne den Verweis auf das Deutsche, dem der Malermeister aus Leipzig angeblich so deutlich verschrieben wäre. Anders als bei Lüpertz oder Kiefer sind es bei ihm nicht die Themen, und anders als die Lieferanten einer, wie Werner Spieß es einst nannte, „Überdosis an Teutschem“ ist Rauch im Osten sozialisiert. Dort leben ja bekanntlich die authentischern Vertreter der Spezies Homo Germanicus. Was soll aber wirklich deutsch sein an Rauch? Die Frage soll nicht unterstellen, dass es keine nationalen Besonderheiten gäbe. Es gibt sie, weil es sie gegeben hat. Das gilt auch für das Deutsche, und womöglich ist das Gründeln und Schürfen im Abgründigen ein spezielles Charakteristikum. Noch spezieller deutsch wäre dann allerdings das Her- und Feststellen einer solchen Besonderheit. „The Englishness of English Art” wurde mit einer berühmten Formel in der Nachkriegszeit herausgearbeitet. Dass es mit Nikolaus Pevsner ein Deutscher war, der diese Formel fand, ist dann das Charakteristischste an nationaler Charakteristik. Die Kaiseridee hat die Deutschen einst abheben lassen. Das früheste bildnerische Beispiel für die Hybris, die daraus entstand, ist vielleicht jenes Widmungsbild, das den Kaiser Otto III. zeigt, wie ihm von seinen Provinzen gehuldigt wird (wir haben es unter dem Titel „Unsterblichkeit“ hier aus Anlass eines nochmals speziellen Deutschnationalen schon vorgestellt). In der Mitte, überhöht, ausgestattet mit den imperialen Insignien, der Monarch, in Habachtstellung vor ihm seine Reichsteile bzw. was er dafür hält: Germanien, Frankreich, Italien und Burgund. Der Kaiser lanciert sich außerhalb, oberhalb, jenseits der Territorien, und doch hat er nur Macht über eines von ihnen. Mitten drin zu sein und sich transzendent zu dünken, ist die Chimäre von tausend Jahren. Aber heute? Heute leben wir im Zeitalter des Konstruktivismus. Längst ist Geschlecht keine Sache von Sex mehr, sondern von Gender, und auch das Altern ist mittlerweile einwattiert in Praktiken der Prothetik und der Schönheitsoperationen, der Fitness-Aktivitäten und Wellness-Aufenthalte. Du kannst es, denn du willst es, ruft der Markt, und so ginge es auch beim Nationalen. Deutsch Sein ist keine Sache der Biologie oder sonstiger Essentialitäten, sondern der Zuordnung und der Selbstermächtigung. Nationalität ist längst voluntaristisch. Wer deutsch ist, so deswegen, weil er sich dafür hält. Ist Neo Rauch also deutsch? Ist er Deutscher? Und ist das ein Komparativ? Jenseits der Spektakelbedürfnisse des Feuilletons doch eher nicht.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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