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Julia Stoschek Collection. I want to see how you see: Frau Kapitän und ihre Kunstfracht

Das Sammeln von zeitgenössischer Kunst generiert permanent neue Fragestellungen zu Positionen und Theorien von KünstlerInnen. Eine Momentaufnahme dazu ermöglicht die prozessorientierte Ausstellung „I want to see how you see“, welche die Aufmerksamkeit und Offenheit der Sammlerin und Foundation-Gründerin widerspiegelt. Julia Stoschek, geboren 1975 in Coburg, ist Gesellschafterin der Brose-Unternehmensgruppe, eines Automobilzulieferers, widmet sich aber seit dem Ende ihres Studiums der Betriebswirtschaft 2001 hauptsächlich ihrer Sammlung. Seit 2004 ist sie im Direktoren-Board der KW-Institute for Contemporary Art, Berlin und wurde 2007 in das Trustee Comittee on Media and Performance Art am New Yorker Museum of Modern Art als stimmberechtigtes Mitglied der Ankaufskommission berufen. In den vergangenen acht Jahren erwarb sie 420 Werke von bedeutenden internationalen KünstlerInnen für ihre eigene Privatsammlung; miteinbezogen sind innovative Bezüge einer jüngeren und weniger bekannten Generation. Das Stammhaus ist eine ehemalige stillgelegte Rahmenfabrik, die 2007 nach einem Umbau durch die Berliner Architekten Kühn Malvezzi als Privatmuseum eröffnet wurde. Die Sammlerin bezeichnet sich als Augenmensch, was angesichts der Komplexität ihrer Sammlung ein smartes Understatement und weniger eine ästhetische Neigung ist. In ihrem stringenten Programm spielt die essentielle Kunstproduktionen von Frauen der letzten vier Jahrzehnte aus Amerika, Europa und Afrika eine besondere Rolle. Die Ausstellung in der Großen Deichtorhalle zeigt erstmals 65 Werke von 54 KünstlerInnen ausserhalb von Düsseldorf. Der neue Intendant Dirk Luckow entwickelte das vielschichtige Ausstellungskonzept, in dem die Sammlerin als attraktive Werbeträgerin neues Terrain betrat. Links neben dem Haupteingang wurde ihr Porträt, in einem weissen Tank Top und mit einer Kapitänsmütze, fotografiert von Gumppenberg & Bienert, auf ein 2,50 x 3,50 Meter Transparent platziert. Selbstinszenierung ist in dem Fall eine Referenz zu (post)feministischen Handlungsweisen. Film-, Videokunst, Fotografie sowie Installationen umfassen das Themenspektrum Körperlichkeit, Schmerzerfahrung, Körperhaftigkeit im Sinne einer Plastizität, Transformation, Utopien, politischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Wegweisend ist neben „Shoot“ (1971) von Chris Burden das 14-minütige Video-Statement „Art mus be beautiful/Artist must be beautiful“ (1975) von Marina Abramovic. Weitere Werke wurden u.a. ausgewählt von Vito Acconci, Doug Aitken, Björk, Monica Bonvicini, Robert Boyd, Gordon Matta-Clark, Patty Chang, Thomas Demand, Nathalie Djurberg, Andreas Gursky, Christian Jankowski, Terence Koh, Klara Liden, Alex McQuilkin, Bruce Nauman, Tony Oursler, Aura Rosenberg, Martha Rosler, Thomas Ruff, Christoph Schlingensief, Steina Vasulka und Franz West mit „L28“ von 2006. Von Pipilotti Rists Videoarbeit aus dem Jahre 2003, einem Experiment zu Wahrnehmung und Aufzeichnung, wurde der Ausstellungstitel übernommen. Das Prädikat „sehenswert“ verdienen die im Foyer begehbare Installation „2-Dimensional Mirror Labyrinth“ (2006) von Jeppe Hein, das auf drei Leinwände projizierte Dreikanalvideo von Isaac Julien „True North“ (2004) sowie die zwei Skulpturen „Intsandvokati“, „Sondzela“ (beide 2008) der 1982 in Swasiland geborenen und heute in Südafrika lebenden Nandipha Mntambo. Erwähnenswert die leider nicht in der Ausstellung inkludierte Installation „Killing Machine“ (2007) von Janet Cardiff und Georges Bures Miller. Das Sammlungsobjekt ist eine vielschichtige Auseinandersetzung mit der Todesstrafe und Franz Kafkas Erzählung „Die Strafkolonie“. Von Julia Stoschek als Dauerleihgabe dem MoMA gewidmet, konnte trotz mehrfacher Anfragen nach Übersee keine Herausgabe für die Deichtorhallen erreicht werden. Einem Fachpublikum leichter zugänglich, ist der Kunst-Parcours für BesucherInnen mit wenigen Kenntnissen zu Kontexten über medientechnologische Positionen von den Siebziger Jahren bis in die Gegenwart schwerer nachvollziehbar. Ergänzend sei der 150-seitige Ausstellungskatalog, erschienen im Kölner Snoeck Verlag, empfohlen. Der immense Gesamtaufwand ist ein kritisches Statement in Richtung Museen und Kunstvereine, die durch den finanziellen Druck vermehrt auf exorbitant steigende Kosten Rücksicht nehmen und gleichzeitig risikoscheu(er) bei sensiblen Themen Abstriche machen. Wir leben in einer mehr oder weniger gebildeten Informationsgesellschaft, die sich auf der Suche nach dem Sinn des Lebens in einer globalisierten Welt zunehmend verliert. Private Sammlungen sind unverzichtbare Dokumentationen über das Wechselspiel von Fremd- und Selbstreflexion zu aktuellen Tendenzen.
Mehr Texte von Leon Gumil Hainzl

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Julia Stoschek Collection. I want to see how you see
16.04 - 25.07.2010

Deichtorhallen
20095 Hamburg, Deichtorstraße 1+2
http://www.deichtorhallen.de
Öffnungszeiten: Di-So 11-18 h


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