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Sex & Drugs & Kirchentag

War ich nach vielen Jahren wieder einmal in einem Konzert. Pop, versteht sich, denn unsereiner kommt ja mittlerweile eher in etwas Klassisches, und derlei E-Erfahrung ist auch noch nicht so lange her. Diesmal also U. Ich war eher als Aufpasser dabei, wozu hat man Töchter im heranwachsenden Alter, und man muss ja irgendwie auch froh sein, wenn sie etwas anderes hören als man selber. Wir waren bei den Wise Guys, einer deutschen Combo, die Acapella-Gesang mit zum Teil ganz witzigen Texten kombiniert (etwa so: „Ich hab geträumt, sie hätte mich geküsst, und es trifft mich wirklich tief, dass ich währenddessen schlief“). Die fünf Buben der Truppe sind aus dem ärgsten Teenie-Alter in der Zwischenzeit heraus, allesamt sind sie um die vierzig und entsprechend sehr familientauglich. Vor Jahresfrist waren sie schon einmal in der Stadt, es kann sein, dass der ein oder andere Fan zu der Zeit noch nicht geboren war. Und die Pärchen waren noch keine Eltern. Unterstufen-Pop, jede Menge Zahnspangen und erleichterte Gesichter der Erziehungsberechtigten gaben sich ein solides Stelldichein. Warum erzähl ich das? Die Schlauberger von den Wise Guys schwimmen jedenfalls auch mit auf der Korrektheitswelle. Wie toll das war, schilderte Dän (mit Umlaut), der Texter und Frontman, von der Bühne herab, als sie neulich beim evangelischen Kirchentag auftraten. Für die Pause war zudem ein Stand aufgebaut, er verteilte Informationen und sammelte Spenden im Auftrag von „Misereor“, dem Hilfswerk wiederum der katholischen Bischöfe. Angesichts von soviel Ökumene konnte in umfassendem Sinn nichts schiefgehen. Eine launige Zwischenbemerkung ließ sich machen bei der Anmoderation des Liedes „Wir zwei“. Da gibt es den Reim „Unsere Liebe ist so heiß wie ein defekter Toaster - und wer uns schon als Paar erlebt hat, geht sofort ins Kloster“, und der Hinweis, damals, als man das schrieb, sei das mit dem Kloster ganz asketisch gemeint gewesen, lag natürlich auf der Hand. Zweieinhalb Stunden ging das routiniert so dahin, die Sätzchen zwischen den Liedern wirkten gut einstudiert, die Choreographien ebenso, und die Texte saßen ohne Merkhilfe. Ganz zum Schluss aber kam Dän mit einem Zettel daher, irgendetwas muss anders als in den anderen Städten, wo man das Programm abspulte, gewesen sein, und das stand da drauf. Das einzige, das anders war, das war das Hotel. Dän las also vor, wo sie wohnten, die fünf Gscheithaferln, er las den Namen der Herberge vor, die Adresse und die Nummern ihrer Hotelzimmer. „Könnte sein“, sagte er, „dass einer von uns aufmacht.“ In der Pause sammelte man Spenden, nach Konzertschluss Groupies. Michel Foucault brachte ein solches Verfahren im ersten Teil seiner „Sexualität und Wahrheit“ auf den treffenden Begriff „Maximalisierung des Lebens“. Dass sie in der Pop-Musik schlechte Manieren und eine gute Geilheit haben, wusste man vorher schon; doch jetzt vertreten sie auch noch Misereor und kassieren gleich den moralischen Mehrwert ein. Möglichst viel von allem und jedem. Sex & Drugs & Kirchentag. Meine Kinder konnten etwas lernen.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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