Werbung
,

Querblick reloaded

Nach einer Woche mit wechselnder Witterung stehen die Sieger fest. Es war ein guter Jahrgang, auch jenseits der internationalen Abräumer, Michael Hanekes „Das weiße Band“ und Jessica Hausners „Lourdes“, und ein entspanntes, rundes Festival. Zum besten Spielfilm wurde „La Pivellina“ gekürt, ein herzerwärmendes, bereits mehrfach preisgekröntes Werk über ein kleines Mädchen, das bei einer italienischen Zirkusfamilie ein neues Zuhause findet. Der Preis für den besten Dokumentarfilm ging an die Langzeitstudie „Hana, dul, sed…“ über vier nordkoreanische Fußballerinnen. Beide Filme hatten schon während der letzten Viennale viel Aufmerksamkeit erregten. Den Preis für Innovatives Kino erhielt der Experimentalfilm „B-Star, untötbar! reloaded“ von Sabine Marte. Der Diagonale-Preis der Diözese Graz-Seckau ging an die Dokumentation „Die Kinder vom Friedrichshof“ der jungen Deutschen Juliane Großheim. Den Preis der Jugendjury und den Publikumspreis erhielt eine weitere Fußballdoku: Hüseyin Tabaks „Kick Off“, ein Film über die österreichische Mannschaft des Homeless Street Soccer Cup bei ihren Vorbereitungen auf die Meisterschaft in Australien 2008. Abgesehen von „B-Star, untötbar! reloaded“, eine Wilde Jagd auf dem Sofa durch einen spukenden Dachboden, wurden vor allem Werke mit dokumentarischem Charakter und sozialen, gesellschaftspolitischen und randständigen, ja exotischen Inhalten gekürt. Doch jenseits davon gab es natürlich noch so viel mehr. Zum Einen waren da die Retrospektiven, die zu gleichen Teilen Eigenwilligen und Vergessenen gewidmet waren: den Filmemachern Peter Schreiner und Romuald Karmakar sowie dem gebürtigen Iraner Mansur Madavi, einem der „Solitaire unter den Autorenfilmern“ im Österreich der 1970er Jahre, und dem Wiener Kameramann Günther Krampf, dessen charakteristische Stilistik in Werken wie „Die Büchse der Pandora“ (1929) und „Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?“ (1932) zu bewundern war. Hinterließ die Peter-Schreiner-Personale eher den etwas enttäuschenden Eindruck von Wiederholung und Gleichartigkeit, so war jeder Besuch eines Films der Karmakar-Reihe eine kleine Sensation für sich, selbst wenn man monumentale Werke wie „Der Totmacher“ (1995) oder „Das Himmler-Projekt“ (2000) bereits zuvor gesehen hatte. Mit „Manila“ (2000) war darüber hinaus ein Film zu entdecken, in dem, etwa wie in Buñuels „Würgeengel“ abzüglich der surrealistischen Verzerrungen, sich eine irrationale Gruppendynamik einer zufällig zusammen gewürfelte Reisegesellschaft, die am Flughafen von Manila auf ihren Abflug wartet, bemächtigt. Das überraschende Ergebnis der tumultuösen Story: der pure Hedonismus – für den Betrachter. So viel Spaß hatte man, auf einer nun doch sehr surrealistischen Ebene, dann erst wieder in Peter Kerns neuestem Opus „King Kongs Tränen“, das mit dem Zitat eines Kritikers beginnt: „Hören Sie bitte auf, Filme zu machen“, und damit endet, dass sich der Regisseur als seine eigene Hauptfigur am Gehirn einer Kritikerin labt. Und man versteht: So süß kann Rache sein. Drei der programmierten Dokumentarfilme wurden, obwohl doch recht verschieden, in gewisser Weise gemeinsam diskutiert: „Liebe Geschichte“, „Herrenkinder“ und „Die Kinder vom Friedrichshof“. Behandelten die ersten Beiden die spezielle Problematik von Nachkommen von Absolventen der Napola, der NS-Nationalpolitischen Erziehungsanstalten, bzw. von nicht zu belehrenden „Ewiggestrigen“, so berichtete Letzterer vom Leben der Kinder aus der Kommune von Otto Mühl am Friedrichshof – nicht alle drei mit derselben Sinnhaftigkeit. So gelang es Simone Bader und Jo Schmeiser alias Klub Zwei mit „Liebe Geschichte“ wie mühelos, zu allgemeingültigen Aussagen über das innerfamiliäre und damit gesellschaftliche Nachwirken der NS-Vergangenheit unseres Landes in die Gegenwart zu gelangen, während die Macher von „Herrenkinder“, Eduard Erne und Christian Schneider, sich nicht entscheiden konnten, ob sie lieber die ehemaligen Napola-Schüler, darunter Promis wie Hellmuth Karasek, oder deren Nachkommen zu Wort kommen lassen wollten, beides taten und sich damit im Vagen verirrten. „Die Kinder vom Friedrichshof“ dagegen bespiegelte das Kommunenleben aus der Sicht der damaligen Kinder sehr effizient und zeigte beides, die verlockende Utopie eines befreiten Lebens und deren – scheinbar unweigerliches - Scheitern. Ein weiterer Geheimtipp unter Diagonale-BesucherInnen war „David wants to fly“ des jungen Deutschen David Sieveking, der ebenso kurzweilig wie ernsthaft die Machenschaften des von vielen Promis, darunter David Lynch, konsultierten, mittlerweile verstorbenen Meditationsgurus Maharishi Mahesh Yogi unter die Lupe nahm. Gut unterhalten fühlten man sich auch in „Rammbock“ von Marvin Kren, einem lupenreinen Zombie-Film, in dem der Reiz des Genres sich in der Situierung in einer ganz banalen Berliner Hausgemeinschaft voll entfaltet. Nach gerade einer Stunde ist dieser mittellange Spielfilm schon vorbei – und das bedauert man zutiefst. Tipp: Das Österreichische Filmmuseum zeigt noch bis 8. April die Filmreihen "Deutschland in der Nacht" und "Romuald Karmakar".
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: